10 Jahre Finanzkrise: Eine Nachlese

Vor 10 Jahren suchte die letzte Finanzkrise die Welt mit voller Wucht heim. Dem ein sin Uhl is dem annern sin Nachtigall. An den Folgen der Finanzkrise verdient die CS Realwerte AG bis heute glänzend.

Sonntag abend lief in der ARD ein ausgesprochen sehenswertes Dokudrama mit dem Titel „Lehman. Gier frisst Herz“. Ein ziemlich präzises Sittengemälde der Exzesse an den Finanzmärkten dieser Zeit, garniert mit vielfältigen Statements des damaligen Lehman-Deutschland-Chefs Karl Dannenbaum, des damaligen Finanzministers Peer Steinbrück und des damaligen EZB-Präsidenten Claude Trichet.

Alarmieren muß das Schlußwort von Claude Trichet in seinen Kommentaren: „Ich glaube nicht, dass man aus diesen Vorgängen irgend etwas gelernt hat. Ich glaube nicht, dass sich nach dem Lehman-Zusammenbruch irgend etwas geändert hat.“

Betroffenes Kopfschütteln erntet das Schlußwort von Karl Dannenbaum. „Eine Schuld – moralisch? – nein. Es ist ein Verhängnis gewesen. Ist es eine Schuld? Nein.“

Dazu eine kleine Anekdote: Unsere eigentliche Profession ist bekanntlich der Handel mit Historischen Wertpapieren. Das ließ es damals sinnvoll erscheinen, Börsentage, Finanzmessen und Investmentkongresse mit einem kleinen Stand zu bestücken und dort für unser Sammelgebiet Werbung zu machen. So waren wir Anfang 2008 auch auf einem Investmentkongreß in München vertreten. Zertifikate waren damals das überragende Thema, dem sich alle anderen Aussteller fast ausnahmslos widmeten.

Am Ende der Veranstaltung gab es zu wenig Taxen. So ergab es sich, daß ich mir das Taxi zum Bahnhof mit einer charmanten jungen Frankfurterin teilte. Wir kamen in’s Gespräch. Sie leitete (mit Dienstsitz London) für eine französische Großbank den Zertifikate-Vertrieb über die deutschen Sparkassen. Im eingangs zitierten ARD-Beitrag waren übrigens die Zertifikate-Opfer der fiktiven Rhein-Main-Sparkasse der Drehbuch-Leitfaden.

Ich fragte sie, ob sie selbst auch in Zertifikate investiere. Die Antwort habe ich bis heute nicht vergessen. Sie, die sie einen um den anderen Tag über die deutsche Sparkassen-Organisation deutschen Kleinsparern Zertifikate für Abermillionen auf’s Auge drückte, antwortete: „Zertifikate? Bist Du bescheuert? No way. In meinem Depot habe ich ausschließlich Bundesanleihen.“

Lieber Herr Dannenbaum, was die Schuldfrage angeht: Die damals handelnden Personen waren keine umgeschulten Müllwerker. Es waren hochintelligente Leute, die ziemlich genau wussten, was sie taten. Leute allerdings, die bereit waren, für das eigene unanständig hohe Einkommen Moral und kaufmännischen Anstand über Bord zu werfen. Und Monsieur Trichet hat leider vollkommen Recht: Damals wie heute drehen die Banken und Sparkassen ihren Kunden immer noch heiße Luft in Tüten an, die sie hochtrabend als „Finanzprodukte“ bezeichnen.

Herr Steinbrück erklärte in dem erwähnten ARD-Beitrag, er und auch kein anderer Finanzminister habe dieses Unheil kommen sehen können. Doch Herr Steinbrück, das konnte man. Aktien, Anleihen, Immobilien (meinetwegen äußersten Falls auch noch in Fonds verpackt), Gold, Bausparverträge, Lebensversicherungen: Das hat weit mehr als ein Jahrhundert lang als Anlageuniversum gereicht, und das würde auch heute noch vollkommen ausreichen. Das deutsche Wirtschaftswunder fand statt, obwohl alle Börsentermingeschäfte und Leerverkäufe bei Strafe verboten waren. Was übrigens eine Konsequenz nach den Erfahrungen aus der Weltwirtschaftskrise der frühen 1930er Jahre gewesen war.

Alles, was nach Deregulierung der Finanzmärkte an von den Banken kreiertem Spielzeug dazu kam, macht volkswirtschaftlich keinerlei Sinn und hat für die effiziente Kapitalallokation in der Realwirtschaft keinerlei Sinn und Nutzen. Es sind alles nur Jetons zur Maximierung zinsunabhängiger Erträge des Bankensystems. Diese Dinge nützen niemandem (außer den Banken zur Ertragserzielung), es sind aber (wie der große Warren Buffet schon vor längerer Zeit einmal sehr treffend sagte) finanzielle Massenvernichtungswaffen, die den Keim der nächsten Krise bereits in sich tragen.

Übrigens muß man den ARD-Beitrag aber in einem Punkt korrigieren. Er schloß mit dem Textlaufband „Die Finanzkrise 2008 verursachte weltweit einen Schaden von 7 Billionen Euro„.

Das ist unzutreffend. Es mag sein, dass global aufaddiert die Depotwerte aller Anleger in Folge der Finanzkrise um 7 Billionen Euro schrumpften. Aber der Finanzhistoriker weiß: Das Zusammenschrumpfen der in der Spekulationseuphorie zuvor aufgeblähten, tatsächlich nur auf dem Papier existierenden Buchwerte ist realwirtschaftlich gesehen kein Schaden. Das „Geld“ existierte ja nur als endlose Kette von Nullen in den Büchern, war aber (als volkswirtschaftliches Realvermögen) tatsächlich niemals da.

Die andere Möglichkeit wäre: Das Geld ist nicht weg, es hat jetzt nur jemand anders. Zu einem winzigen, global nicht einmal unter der Lupe sichtbaren Anteil eben auch die CS Realwerte AG und ihre Aktionäre. Die umgeschulten Müllwerker am Ende der Nahrungskette der Kapitalmärkte sind nämlich wir.

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