Die Mutter aller Zeitbomben
Erst kürzlich ließ uns der Aktionismus eines Donald Trump erfahren, daß es die „Mutter aller Bomben“ gibt. Aus gegebenem Anlaß, nämlich den jüngst vom SEB ImmoInvest gemeldeten Verkäufen, müssen wir uns deshalb mal wieder mit der „Mutter aller Zeitbomben“ beschäftigen. Und das ist das von deutschen Immobilienfonds auf Grund gesetzlicher Vorschriften angewendete Bewertungsverfahren.
Aktien- und Rentenfonds haben hier kein Problem: Da gibt es täglich einen Börsenkurs, den man zur Bewertung des Fondsvermögens verwendet. Bei Immobilienfonds ist das etwas schwieriger: In Ermangelung echter Marktpreise greift man hier auf Verkehrswerte zurück, die für jedes Fondsobjekt einmal jährlich für die Fonds von ihren ständigen Sachverständigen-Ausschüssen ermittelt werden.
Doch jeder, der sich schon einmal mit einem Bewertungsgutachten für eine Immobilie beschäftigen musste, kennt das Problem: Den Markt interessiert die Wertermittlung eines Sachverständigen eigentlich gar nicht. Der Preis bildet sich schlußendlich nur aus Angebot und Nachfrage.
Wenn jemand unbedingt eine Hundehütte auf dem Mond besitzen möchte, und es steht auf absehbare Zeit nur eine zum Verkauf, dann wird diese Hundehütte auch Mondpreise erzielen.
Wenn aber in Berlin das Schloß Bellevue verkauft werden soll, dann läuft man sowohl mit dem Sachwert- wie auch dem Ertragswertverfahren auf Grund: Beim Sachwertverfahren führt der Ansatz der Baukosten, auf das Baujahr zurückgerechnet, bei einem veritablen Schloß zu höchst unscharfen Ergebnissen. Und welchen Quadratmeter-Preis für das Grundstück darf man rechnen? Das Ertragswertverfahren führt ebenfalls zu nichts, weil – jedenfalls nach unserer Kenntnis – der Bundespräsident für seinen Amts- und zugleich Wohnsitz gar keine Miete zahlt.
Wurde eine Immobilie gerade neu für den Fonds gekauft, dann kennt man den Marktpreis. Zu dem die Sachverständigen übrigens auch bei jedem Kauf ihr Plazet geben müssen. Doch bei jeder (im Jahresrhytmus vorgeschriebenen) Folgebewertung wird das Problem für die Sachverständigenausschüsse größer: Je weiter man sich vom Kaufdatum und damit einem einmalig entstandenen Marktpreis entfernt, desto mehr müssen sich die Sachverständigen auf im Prinzip rein mechanisch funtionierende Bewertungsverfahren zurückziehen.
Erste Abgründe tun sich schon an der Frage auf, ob und ggf. zu welchen Konditionen in einigen Jahren auslaufende Mietverträge wohl verlängerbar sein könnten. Und es grenzt schon an Kaffeesatzleserei, heute bereits wissen zu wollen, wie in zwei oder drei Jahren der Mietmarkt am betreffenden Standort überhaupt aussehen wird. Doch beim Bewertungsverfahren deutscher Immobilienfonds verlangt der Gesetzgeber (anders als z.B. in Großbritannien, wo man sich viel stärker am Markt orientiert), daß der Kaffeesatz in feste Rechenschablonen gepreßt wird und ein rechnerisch genau darzustellendes Ergebnis mit zwei Nachkommastellen herauskommt.
Die Sachverständigengutachten und die darin errechneten Verkehrswerte sind aber – ohne daß man außer dem Gesetzgeber jemandem einen Vorwurf machen kann – für die Adressaten der Bewertungen wie für den Betrunkenen eine Laterne. Dient nicht zur Erleuchtung, sondern zum Festhalten.
Ob die sachverständig ermittelten Werte am Markt tatsächlich erzielbar wären, ist bei Offenen Immobilienfonds eine unter anderem sehr vom Verkaufszeitpunkt und der dann herrschenden Marktlage abhängende Frage. Ganz vereinfacht gesagt: In einem boomenden Markt verkauft man auch Hundehütten. In einem am Boden liegenden Markt bleiben auch Schlösser als Ladenhüter liegen.
Die enorme Zyklik der Immobilienmärkte hatten wir hier schon öfter an Einzelbeispielen erläutert. Doch die in Deutschland bei Offenen Immobilienfonds vorgeschriebenen Bewertungsverfahren müssen diese Zyklik weitgehend ausblenden. Vereinfacht gesagt führt das tendenziell zu dem Ergebnis, daß diese Bewertungen in Boomphasen noch zu zaghaft sind, aber in Schwächephasen teilweise deutlich zu hoch. Und dieser grundsätzliche Konstruktionsfehler deutscher Immobilienfonds führt dann zu dem Ergebnis:
Im März 2017 verkauft der SEB ImmoInvest ein von der Bausubstanz und Vermietbarkeit ausgesprochen mittelmäßiges Gewerbeobjekt in der Frankfurter Innenstadt zum Doppelten des Verkehrswertes. Ganz einfach weil ein Projektentwickler auf den Trichter gekommen ist, die Klafalle einfach abzureißen und an ihrer Stelle ein Hochhaus mit Luxuswohnungen zu errichten. Zur gleichen Zeit verkauft der gleiche Fonds ein Portfolio mit 7 holländischen Objekten 26 % unter den aktuell festgestellten Verkehrswerten (obwohl sie zuvor bereits dramatisch zusammengestrichen worden waren). Die Bewertung hatten in beiden Fällen die gleichen Sachverständigen gemacht. Und, um die Verwirrung komplett zu machen: Vor gerade einmal einem Jahr hatte der CS Euroreal fast alle seine Holland-Immobilien auf einen Schlag für 12 % über den Verkehrswerten verkauft – da liegt im Vergleich zum SEB also ein Delta von fast 40 % dazwischen …
Je länger wir darüber nachdenken, desto mehr kommen wir zu dem Schluß, daß bei Immobilienfonds jede Bewertung nur genau die gleiche Qualität hat wie unsere eigene Unternehmensplanung: Sie ersetzt den Zufall der Geschehnisse durch den Irrtum bei ihrer Vorhersage.
Die letzte große Krise haben ja die meisten Offenen Immobilienfonds überlebt, und sie werden von den entsprechenden Institutsgruppen noch heute im Prinzip als risikolose Witwen- und Waisenpapiere verkauft. Den hier investierten, und in der großen Mehrzahl sicher vollkommen ahnungslosen Anlegern ist wirklich zu wünschen, daß diese Fonds nie in die Situation kommen, beweisen zu müssen, daß die für die Anteilswertberechnung verwendeten Verkehrswerte auch die tatsächlich am Markt erzielbaren Preise sind. Denn die nächste Immobilienkrise kommt so sicher wie das Amen in der Kirche, und hier tickt die Mutter aller Zeitbomben …
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