Mir ist langweilig …

… wann sind wir denn endlich da? Eigentlich ist das ja das Gequengel von der Rückbank, das junge Eltern nur zu gut kennen. Gott sei Dank sind meine beiden Töchter schon um die 30 und haben ihre eigenen Autos. Und unser Enkel kann noch nicht so akzentuiert sprechen, daß wir uns um seine Langeweile ernsthafte Sorgen machen müssen. Nein, gelangweilt haben wir den eigentlich noch nie erlebt.

Das ändert sich aber mit zunehmendem Alter. Bei mir jedenfalls. Als früherer Katholik und Minestrant, aber seit 40 Jahren konfessionell „staatenlos“ weiß ich mit dem heutigen Reformationstag einfach nichts anzufangen. Mir ist langweilig.

Natürlich hätte ich jetzt im Büro auch noch ein bißchen zu tun – aber allzu harte Arbeit will ich mir an einem Feiertag ja auch nicht aufbürden. Also schreibe ich Ihnen mal wieder ein bißchen was über die Gedanken, die mir vorhin auf der Fahrradfahrt in’s Büro durch den Kopf gingen. Übrigens, intensives Denken beim Fahrradfahren kann ich nur empfehlen. Man übersieht zwar hin und wieder etwas (das habe ich bisher aber jedes Mal überlebt), doch ansonsten nimmt man auch so unangenehme Dinge wie Westwind voll von vorn in die Fresse gar nicht so intensiv wahr.

Der eine oder andere Leser weiß ja, daß ich hauptberuflich mit Historischen Wertpapieren handele. Also, sprechen wir das ruhig mal unumwunden aus, seit über 30 Jahren verkaufe ich etwas, das eigentlich keine Sau zum Leben braucht. Aber weil es nun mal auch mein eigenes Hobby war und ist, hatte ich da gar keine Wahl …

Die Tatsache, ein (bezogen auf elementare Lebensbedürfnisse) augenscheinliches Luxusgut zu verkaufen, schärft natürlich den Blick dafür, wie andere Verkäufer so unterwegs sind. Da kommt man aus dem Staunen manchmal wirklich nicht heraus.

Nehmen wir als Beispiel mal die ERGO Lebensversicherung AG. Nur weil ich bei deren Konzernschwester DKV seit ewigen Zeiten eine Krankenversicherung habe, machen die sich jetzt echt Sorgen um meine Beerdigung. Damit will ich gar nicht mal unterstellen, daß man mir angesichts schwindender Altersrückstellungen meiner Krankenversicherung die Möglichkeit meines Ablebens im Sinne einer „self fulfilling prophecy“ plakativ als Option ins Bewußtsein rücken möchte.

Nein, der Brief hat ausnahmslos edle Gründe: Meine Angehörigen wären mit meiner Bestattung laut Werbebrief im Moment des Abschieds nämlich überfordert. Deshalb sollte ich bei der ERGO doch besser eine Sterbegeldversicherung abschließen. Versicherungssumme 2.500 EUR plus Überschussbeteiligung 466 EUR (allerdings nicht garantiert und nur als unverbindliches Beispiel). Aber nähmen wir mal an, es wäre so: Dann gäbe es im Fall aller Fälle vielleicht 2.966 EUR.

Dafür müsste ich allerdings ab sofort bis Dez. 2040 (da wäre ich dann 85 Jahre alt und könnte vielleicht auch einfach kompostiert werden) monatlich 15,36 EUR zahlen. Die großen Marketing-Strategen der ERGO haben wahrscheinlich nicht bedacht, daß Menschen meines Alters in der Schule relativ wenig Sozialkompetenz, aber dafür noch relativ viel Rechnen gelernt haben. Wenn ich also jeden Monat 15,36 EUR in eine Zigarrenkiste täte, dann wären da im Dez. 2040 drin: 4.239,36 EUR, anstatt der mageren 2.966 EUR, die mir diese grandiose Versicherungsgesellschaft unverbindlich in Aussicht stellt. Meine Anghörigen könnten mir also ganz ohne effektive Mehrkosten einen passablen Satz Golfschläger mit in den Sarg legen, für den unwahrscheinlichen Fall (aber da legt man sich ja selbst als Konfessionsloser besser nicht endgültig fest), daß auch im Jenseits Golf gespielt wird.

Mal abgesehen davon frage ich mich, wie eine Versicherung glauben kann, 2.500 EUR hätten irgendeine Signifikanz für jemanden, der ihr jeden Monat klaglos mehr als 600 EUR an Krankenversicherungsbeiträgen zahlt. Mein Anstellungsvertrag sagt nämlich, daß mein Gehalt im Ablebensfalle noch sechs Monate lang an meine Nachkommen weiterzuzahlen ist. Im Falle meines Ablebens bräuchten mich meine Angehörigen also nur vier bis fünf Monate einfrieren zu lassen (eine wahrlich nicht unzumutbare Zeitspanne, und mir wäre es ehrlich gesagt dann auch egal), und schon hätten die in dieser Zeit gesparten Krankenversicherungsbeiträge den gleichen finanziellen Effekt wir die mir angebotene Sterbegeldversicherung. Ganz abgesehen davon, daß nach meinem Kenntnisstand Golfschläger durch Frost nicht unbrauchbar werden.

Nicht so viel besser kommt bei mir die NORD/LB weg, oder genauer gesagt heute die Braunschweigische Landessparkasse. Ich bestreite nicht, daß ich bei diesem Institut vor etwa 40 Jahren mal eine ganz hervorragende Ausbildung genossen habe. Leider hat die Bank seitdem etwas nachgelassen, obwohl mein Weggang dafür kaum ursächlich gewesen sein kann.

Dennoch fühlte ich mich seit etwa 40 Jahren mit einem privaten Konto und Depot dort noch ganz gut aufgehoben. Bis ich vorgestern eine Massendrucksache in der Post hatte. Faksimiliert von Werner Schilli (Stellvertretender Vorstandsvorsitzender) und Dr. Ingo Lippmann (Mitglied des Vorstands), die damit für dieses marktstrategische Meisterwerk die redaktionelle und inhaltliche Verantwortung übernehmen.

Also, kurz gesagt, ab 01. Januar 2018 gilt für mich (und offenbar zehntausende oder gar hunderttausende anderer Kunden auch, sonst hätte man das ja nicht als Massendrucksache schicken müssen) ein neues Depotmodell. Die Preise orientieren sich künftig an meinem individuellen Beratungsbedarf. Wer den üblichen Sprech der Volksverdummer aus dem Marketing kennt, weiß gleich: Aha, es wird teurer. Wobei ich mich in meinem Fall schon frage, warum: Üblicher Weise werden Banken von mir beraten (was ich bisher immer noch kostenlos tue), und nicht anders herum.

Bis dahin aber alles noch in Ordnung. Die Jungs können ja nichts dafür, daß sie kein wirklich tragfähiges Geschäftsmodell mehr haben. Aber ein Satz geht dann doch zu weit:

„Die bisher gewährten Sonderkonditionen werden auf die dann gültigen Standardkonditionen umgestellt. … Ihre Zustimmung … gilt als erteilt, wenn sie diese nicht bis zum 31. Dezember 2017 ablehnen.“

Das ist nun allerdings zu viel der Kundenveralberung. Auch ohne juristische Spezialkenntnisse würde ich nämlich meinen, daß die Bank individuell getroffene Konditionenvereinbarungen nicht einfach per Versand einer Massendrucksache aus der Welt schaffen kann. Jedenfalls nicht, wenn man das ganze nicht ausdrücklich als „Änderungskündigung“ tituliert – und ob die AGB ohne Überprüfung des Einzelfalls eine solche nicht in der Person des Kunden begründete Massenkündigung überhaupt hergäben, habe ich lieber gar nicht erst geprüft.

Für einen Marketing-Halbprofi wie mich bleibt es unbegreiflich, wie es in einem so großen Unternehmen zu so groben handwerklichen Fehlern kommen kann. Wer sich auch nur ein bißchen mit Marketing beschäftigt hat, kennt den Begriff „Anstoßkette“. Das bedeutet: Der Brief an den Kunden ist nur der erste Anstoß zu einer Reaktionskette, die dem Anbieter quasi „über Bande gespielt“ den gewünschten Erfolg bringen soll. Scheinbar hat sich in der NORD/LB aber niemand Gedanken gemacht, welche Reaktionskette der Brief auslöst, von dem ich Ihnen hier gerade erzähle. Vielleicht gibt es in der Bank ja auch gar keine Marketing-Profis. Wundern würde mich das ehrlich gesagt nicht – es muß ja seinen Grund haben, daß fast ausnahmslos alle Banken mit Märkten und Kunden bis heute nicht umzugehen wissen.

Mindestens in meinem Fall ist die durch den Brief der Bank ausgelöste Reaktion schnell beschrieben:  Am 31. Dezember 2017 wird es mein Depot bei der NORD/LB nicht mehr geben. Es sind nur 1/2 Mio. EUR, ich weiß, das kratzt die Bank nicht besonders. Wenn allerdings noch mehr Leute so reagieren wie ich, könnte es doch ein bißchen weh tun. Und wenn die Kunden erst mal mit den Füßen abstimmen, hält das auch kein noch so guter Marketing-Mann mehr auf.

Vielleicht habe ich hier aber auch die Absichten der Bank gar nicht verstanden. Vielleicht hat sie ja einfach keine Lust mehr auf Wertpapiergeschäft und wollte ihren Kunden mit ihrem Brief nur nicht direkt, sondern eher durch die Blume zu verstehen geben, daß sie sich doch lieber einen anderen Geschäftspartner suchen sollten. Wenn das die Absicht war, dann allerdings muß man vor dem Können des Schöpfers dieses Briefes ehrfurchtsvoll den Hut ziehen.

Scheinbar gilt bis heute auch für die Bankbranche eine ebenfalls uralte Erkenntnis aus dem Marketing: Man lebt nicht davon, daß man selbst besonders gut ist. Man lebt davon, daß die anderen noch schlechter sind. Kann ich für überwiegende Teile der Banken-Szene in Braunschweig nur ohne Einschränkungen unterschreiben.

Übrigens wäre heute sonst Weltspartag gewesen. Also einer jener Tage, an dem 85-jährige Greise mit einer Zigarrenkiste in der zittrigen Hand (Inhalt: 4.239,36 EUR) in der Sparkassen-Zweigstelle erschienen wären und die ersparten Beiträge der damals nicht abgeschlossenen Sterbegeldversicherung für ihren inzwischen 25-jährigen Enkel auf ein Sparbuch eingezahlt hätten … o:)

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