Nicht wir beherrschen diese Welt
Die meisten unserer Leser wissen ja, dass der Verfasser dieser Zeilen von Haus aus Wirtschaftshistoriker ist. Die Beschäftigung mit abwickelnden Offenen Immobilienfonds kam erst viel später als eigentlich rein zufälliges Nebenprodukt hinzu.
Wie ich gerade erst wieder lernen durfte, ist die historische Betrachtung ja keineswegs auf mein Spezialgebiet beschränkt. Nein, auch in der Medizin gibt es natürlich historische Erfahrungen. Bisher hatte ich dabei geglaubt, die letzte große Medizin-Katastrophe auf dieser Erde sei 1918-20 die „Spanische Grippe“ gewesen. Doch vorgestern belehrte mich da ein befreundeter Mediziner eines Besseren.
Die zweitschlimmste Pandemie des 20. Jahrhunderts war die „Asiatische Grippe“. Das Influenza-Virus A/Singapore/1/57 (H2N2) raffte auf der ganzen Welt zwischen 1 und 2 Millionen Menschen dahin – allein 30.000 in Deutschland. Es gibt erschütternde Bilder aus dieser Zeit, wo man z.B. in Schweden Turnhallen in Notlazarette umfunktionierte (oder, um der Wahrheit in’s Auge zu sehen: in Sammelorte für konzentriertes Sterben).
Wussten Sie es? Die „Asiatische Grippe“ grassierte erst 1957! Da war der Verfasser dieser Zeilen schon auf der Welt! Danach waberte der Erreger ein Jahrzehnt lang um die Erde, mit jedes Jahr wiederkehrenden Infektionswellen. Die allerdings langsam schwächer wurden, weil ja im Laufe der Zeit ein immer größerer Teil der Weltbevölkerung immunisiert war. Doch 1968 war das Virus so weit mutiert, daß es als Subtyp A/H3N2 die neue Pandemie „Hongkong-Grippe“ auslöste, die drittschlimmste des 20. Jahrhunderts. Komisch, dass sich daran heute scheinbar kaum jemand erinnert – mit 1968 bringt man ja vor allem die Studentenrevolten in Zusammenhang. Die übrigens, wenn die Obrigkeit damals schon genau so reagiert hätte wie heute, gar nicht hätten stattfinden können während einer Pandemie: Versammlungsverbot!
Am Ende des Tages bleibt eben die Erkenntnis, die wir inzwischen viel zu lange vergessen hatten: Nicht wir haben diese Welt erschaffen, diese Welt hat uns erschaffen. Und nicht wir beherrschen diese Welt, diese Welt beherrscht uns. Das sollten wir demutsvoll erkennen, und dann vielleicht mal darüber nachdenken, was im Leben die wirklich wichtigen Dinge sind.
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