Ich weiß nicht, ob Sie schon wussten …
… wie sogenannte „Neo-Broker“ (keine Gebühren beim Aktienhandel und eine chice App, mit der ein Aktienkauf nur noch ein Fingerschnippen ist), Hochfrequenzhändler und Hedgefonds heute so ihr Geld verdienen. Nehmen wir zum Beispiel mal den US-Neo-Broker mit den fast programmatisch klingenden Namen Robinhood, bei dem Kunden auch winzigste Aktienpositionen kostenlos handeln können.
Die dahinterstehende Geiz-Ist-Geil- und Gratis-(Sub)Kultur findet der Verfasser dieser Zeilen, nebenbei bemerkt, schon seit Jahren echt Scheisse. Denn wenn sie nicht gerade die Dependance einer mildtätigen Stiftung sind (was in der Branche nach sicherer Kenntnis des Verfassers dieser Zeilen unüblich wäre) müssen diese Billigheimer und selbsternannten Rächer der Enterbten ja irgendwelche Einnahmen beziehen. Die erbrachte Leistung ist für mich als Kunden also mitnichten gratis. Natürlich bezahle ich dafür, wie bei jedem anderen Broker sonst auch. Aber bei diesen perfiden neuen Geschäftsmodellen erfahre ich als Kunde überhaupt nicht mehr, wie viel und womit ich überhaupt bezahle.
Nach den Kurskapriolen der GameStop-Aktie in den letzten Tagen verbot Robinhood seinen Kunden zeitweise den Handel mit GameStop-Aktien. Angeblich zu ihrem eigenen Schutz, doch bald darauf sickerten ganz andere unangenehme Wahrheiten durch. Zum Beispiel, womit Robinhood für seine Investoren trotz Gratishandel Geld verdient. Das funktioniert nämlich so: Die Daten aller eingegangenen Kundenaufträge verkauft Robinhood an Hochfrequenzhändler und Hedgefonds, ehe die Kundenaufträge überhaupt an die Börse weitergeleitet werden. Die Datenkäufer sehen dann, wohin der Hase läuft, und können offensichtlich ganz ungeniert und von keiner Finanzaufsicht behelligt „frontrunning“ betreiben. Na gut, wegen Täuschung seiner Kunden bekam GameStop von der Aufsicht Ende 2020 eine Strafe von 65 Mio. $ aufgebrummt – aber das perfide Spiel läuft ja trotzdem munter weiter.
Als durch die GameStop-Kapriolen einige Großspekulanten in’s Trudeln kamen, unterbrach Robinhood den Handel in GameStop-Aktien nicht etwa zum Schutz seiner millionenfachen Billigheimer-Kundschaft, sondern zum Schutz der Hochfrequenzhändler und Leerverkäufer, also der übelsten Sorte von Spekulanten, von denen Robinhood nun leider mal seine einzigen Einnahmen bezieht. So war das doch schon immer: Wessen Brot ich fress, dessen Lied ich sing …
Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, lieber Leser. Ich jedenfalls kriege jedes Mal einen Brechreiz, wenn ich so etwas höre. Die Finanzmärkte sind zu einem Augias-Stall verkommen, der dringend gründlich ausgemistet gehört.
Noch immer hat kaum jemand begriffen, daß Finanzmärkte als solche volkswirtschaftlich völlig ohne Wert und nur noch Spielcasinos sind, sobald sie nicht mehr unmittelbar die Kapitalversorgung der Realwirtschaft betreiben. Kassageschäfte in Aktien sind o.k. (Options- und Termingeschäfte oder Leerverkäufe dagegen nicht!), Anleihen sind o.k., Investmentfonds zur Bündelung der Kleinsparergelder auch noch. Doch alles andere, was an heutigen Finanzmärkten als „Produkte“ herumgeistert, ist für die Volkswirtschaft ohne jeden Wert oder Nutzen (außer in Form von Gebühreneinnahmen für die Kreateure der heißen Luft in Tüten). Alles andere ist nämlich ex definitione ein Nullsummenspiel, bei dem der eine genau so viel verliert wie der andere gewinnt.
Und auch das gehört zur traurigen Wahrheit: Auch die CS Realwerte AG tut nichts volkswirtschaftlich wirklich Begrüßenswertes, sondern lebt als Müllabfuhr am Ende der ganzen Nahrungskette bis heute lediglich von der teilweisen Aufholung der Verluste, die eine Vielzahl größerer und kleinerer Anleger in der letzten Finanzkrise erlitten hatten.
Am Rande eines besonders großen Abgrunds standen wir ja bereits einmal: Nach dem „Black Friday“ 1929. Die Erkenntnis, daß außer Kontrolle geratene Finanzmärkte nicht nur eine Volkswirtschaft, sondern die ganze Gesellschaft schachmatt setzen können (mit allen bekannten schrecklichen Folgen), diese Erkenntnis hatte man damals ja auch schon. Als Ergebnis blieben weltweit für viele Jahrzehnte beispielsweise Termingeschäfte und Leerverkäufe verboten. Überhaupt war an den Finanzmärkten alles verboten, was nicht ausdrücklich erlaubt war.
Das war gut so, und muß dringend wieder so werden. Wenn wir die Welt vor einer nächsten schweren Finanzkrise bewahren wollen, gibt es keinen anderen Weg. Denn Finanzmärkte, die man nicht unter Kuratel stellt, sondern „nur“ beaufsichtigt, geraten am Ende wegen des unbändig kreativen Eigennutzes der Akteure eben doch immer außer Kontrolle. Die Hexenmeister werden immer schneller und vor allem ungleich kreativer sein als eine noch so bemühte Aufsicht. Einen Fall Wirecard hätte in unserem viel zu liberalen Finanzsystem keine noch so fähige Aufsicht verhindern können. Denn Strafe und vielleicht Verbot sowie der ebenso dümmliche wie bisher stets folgenlose Ruf nach Konsequenzen folgen ja erst, nachdem das Kind längst in den Brunnen gefallen ist. Und da ist es dann halt einfach viel zu spät. Schließlich entwickeln Finanzmärkte ein völlig unangemessenes Eigenleben, und ganz Größenwahnsinnige sprechen dann sogar von einer „Finanzindustrie“ – die simple Dienstleister ohne eigene volkswirtschaftlich greifbare, also konsumierbare Produkte aber niemals sein können.
Seinen Lauf nahm das Unheil 1983 mit dem „Big Bang“, den die Thatcher-Regierung in einer Vereinbarung mit der London Stock Exchange einläutete. Die seitdem weltweit erfolgten Deregulierungen haben die Büchse der Pandora geöffnet, und es ist absolut zutreffend, Margaret Thatcher als die Mutter aller modernen Finanzkrisen zu titulieren.
Nur scheint die Menschheit aus der Vergangenheit leider nichts, aber auch gar nichts gelernt zu haben, wenn man sich die Entwicklungen heute so anschaut (siehe Robinhood und GameStop, aber leider auch bei uns solche Krebsgeschwüre wie scalable, von denen man jetzt zwischen Glücksspiel-Werbung und Masked-Singer-Ankündigungen sogar schon Fernsehwerbung sieht).
Ganz im Gegenteil. Durch skrupellose Verwendung moderner Technik auf den zeitüblichen Kommunikationsgeräten eines diesbezüglich meistenteils völlig kenntnisfreien Publikums erwecken diese verantwortungslosen Casino-Kapitalisten bei einer ganzen neuen Generation den Eindruck: Geld anlegen an der Börse hat nichts mit kluger und sinnvoller Recherche, Erweiterung des eigenen Wissens und fundierter Entscheidung zu tun, sondern ist eigentlich nichts anderes als Gaming. Hauptsache vermeintlich gratis und Zocken schon mit ein paar Euro. Alles nur des eigenen ungezügelten Profitinteresses wegen. Nur weiter so, Ihr Fintech-Gierschlunde, wenn die Karre demnächst völlig im Dreck festfahren soll.
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