Die Wahrheit über Fischstäbchen
74.338 Tonnen Fischstäbchen futtern die Deutschen Jahr für Jahr, Tendenz steigend. Der Verfasser dieser Zeilen bekennt offen, dass er dazu bisher mit 20-30 Stück im Jahr beigetragen hat. Bisher. Denn damit ist jetzt Schulz.
Corona-Krise und Konflikte in der Welt bringen nämlich Tag für Tag neue und ganz erstaunliche Wahrheiten an’s Licht. Zum Beispiel die Wahrheit über Fischstäbchen. Der dafür notwendige Alaska-Seelachs heißt völlig irreführend so, denn er schwimmt, bevor er hierzulande auf den Teller kommt, zu 70 % in russischen Gewässern. Hätten Sie das gedacht? An Bord von russischen Trawlern wird der Fisch ausgenommen und dann zum Handfiletieren nach China (!) verfrachtet. Von dort werden die Filetblöcke schließlich in energiefressenden Tiefkühlcontainern nach Deutschland verschifft, wo sie zu Fischstäbchen oder Schlemmerfilet verarbeitet werden. Seit Corona kommt sogar noch ein weiterer Zwischenschritt dazu. Neuerdings erlaubt China aus Hygienegründen die Einfuhr von russischem Alaska-Seelachs nur noch in Containern. Die Folge: Der von russischen Transportschiffen auf Paletten angelieferte Fisch muß jetzt im koreanischen Hafen Busan vor dem Weitertransport nach China auch noch in Container umgeladen werden.
Beringsee-Ostsibirien-Korea-China-Deutschland, und das wochenlang energiefressend tiefgekühlt: Den Verfasser dieser Zeilen beschleicht der leise Verdacht, dass Fischstäbchen ein hochgradig unökologisches Produkt sind und auf ihren Verzehr künftig am besten ganz verzichtet werden sollte. Ich werde gleich mal in meinen Gemüsegarten gehen und nachschauen, ob nächste Woche ein paar Kohlrabi oder Zucchini erntereif werden könnten. Für eine auch ökologisch sehr wünschenswerte Steigerung des Lebensmittel-Selbstversorgungsgrades hat der Verfasser dieser Zeilen nämlich gerade ausreichend Zeit. Selbst für das händische Ausgraben jedes einzelnen der in den Gemüsebeeten wie eine Seuche auftretenden verfluchten Schachtelhalme ist er sich nicht zu schade. Oder was würden Sie den ganzen Tag lang machen, wenn Sie in Corona-Quarantäne an das traute Heim gefesselt sind?
Heute abend beim täglichen Dram schottischen Whisky werde ich dann mal gemeinsam mit der besten Ehefrau von allen darüber nachdenken, wie sich die nicht in allen Teilen geliebte Gartenarbeit besser organisieren lässt. Vielleicht offeriert der Arbeitsmarkt ja schon nächstes Jahr einen arbeitslosen russischen Fischer oder einen chinesischen Fischfiletierer, den man ohne jede Einarbeitung und trotz Sprachbarrieren (ein einfaches „Dawei, dawei“ reicht schließlich) sofort gegen die vermaledeiten Schachtelhalme einsetzen könnte. Arbeitslos, weil mein Aufruf zum Verzicht auf Fischstäbchen in der Fischindustrie weltweite Verwerfungen ausgelöst hat. Oder auch einfach nur, weil nach russischem Kaviar und Edelfisch demnächst auch der russische Alaska-Seelachs von der EU mit Importsanktionen belegt wird.
Die geneigte Leserschaft sieht: Krieg und Sanktionspolitik kommen am Ende auch in den tiefsten Niederungen unseres Alltags an. Und ohne jetzt als Kassandra auftreten zu wollen: Ich glaube, an einigen Stellen werden wir uns in Zukunft noch ganz gehörig wundern und unsere über Jahrzehnte lieb gewonnene Lebensweise ziemlich hinterfragen müssen. Wo der Konflikt den Deutschen doch jetzt schon ihre über alles geliebten Fischstäbchen madig macht …
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