Brexit zum Zweiten: (Wie) Trifft es uns?

Am 28.6.2016 hatten wir uns an dieser Stelle erstmals mit dem Brexit und möglichen Folgen für die europäischen Gewerbeimmobilien-Märkte beschäftigt. Unser Fazit: Ja, es knirscht ein wenig im Gebälk. In Großbritannien platzten aufgrund entsprechender Ausstiegsklauseln in den Verträgen Gewerbeimmobilien-Deals im Volumen von rd. 1 Mrd. Euro. Allein die Hälfte ging auf das Konto der deutschen genossenschaftlichen Union Invest, die den beabsichtigten Kauf des Cannon Place in der City of London für mehr als 1/2 Mrd. Euro ad acta legte. Aber grundsätzlich: Keine wirkliche Gefahr.

Der Immobilienmarkt war und ist ein hoch zyklischer Markt, und wird es auch bleiben. Und da war London im gegenwärtigen Zyklus nach unserer hier schon vor fast einem Jahr geäußerten Einschätzung bereits sehr weit gelaufen – weiter und vor allem schneller und früher als jeder andere europäische Markt. Anfangs-Objektrenditen von zuletzt teilweise nur noch 3 % p.a. sind halt eine mehr als sportliche Bewertung und setzen sehr viel Vertrauen in die Möglichkeit künftiger weiterer Mietsteigerungen voraus. Vielleicht noch kein grundsätzlicher Trendwechsel, aber doch eine deutliche Zwischenkorrektur schien uns für diesen Markt deshalb schon seit längerem notwendig und wahrscheinlich. Hierfür war der Brexit dann nur Katalysator und der äußere Anlaß; gekommen wäre diese Korrektur unserer Meinung nach sowieso.

Von „unseren“ Fonds hat nur noch der CS Euroreal drei Objekte in Glasgow und London-Heathrow, die mit rd. 90 Mio. € Verkehrswert für 5 % des Fondsvolumens stehen. Alle anderen Fonds sind großbritannien-frei. Zuletzt hatte der KanAm grundinvest im August 2015 in London das Hauptquartier von Thomson-Reuters für 285 Mio. € verkauft und damit beim timing einiges Geschick bewiesen.

Bis Anfang letzter Woche ließ uns der Brexit deshalb einigermaßen kalt. Doch dann überschlugen sich die Ereignisse, ausgerechnet während eines kurzen Schottland-Urlaubs: Britische Offene Immobilien-Publikumsfonds wurden als Folge des Referendums mit massiven Rückgabewünschen konfrontiert, die ihre Liquiditätsreserven überstiegen. Am 4.7. setzte ein 2,9 Mrd. GBP schwerer Fonds der Versicherung Standard Life die Anteilscheinrücknahme vorübergehend aus. Am 5.7. folgten ein 1,8 Mrd. GBP schwerer Fonds von Aviva Investors und kurz darauf mit 4,7 Mrd. GBP ein echtes Fonds-Schwergewicht von M&G Investments. Es folgte Aberdeen Asset Management, die bei einem 3,2 Mrd. GBP schweren Fonds die Anteilscheinrücknahmen aussetzten und zugleich die Verkehrswerte des Immobilienportfolios auf einen Schlag um 17 % zurechtstutzten.

Mark Carney, Gouverneur der Bank von England, warnte, der Gewerbeimmobilien-Markt könne ein Schlüsselrisiko für die britische Wirtschaft werden. Allerdings wies er zugleich darauf hin, daß Immobilien heute bei weiten nicht so exzessiv beliehen seien wie 2007/2008 und man die Situation deshalb, anders als damals, gut im Griff behalten könne.

Vergleiche zu 2007/2008 waren gleich in den ersten Kommentaren zu den britischen Fondsschließungen vom 4. und 5.7. aufgekommen: Schließlich waren es im Sommer 2007 zwei in die Schieflage geratene Immobilienfonds von Bear Stearns in den USA, die sich am Ende als Ausgangspunkt der schwersten Krise des Weltfinanzsystems der letzten Jahrzehnte erweisen sollten. Wir müssen uns also fragen: Sind diese Vergleiche zutreffend? Um es vorwegzunehmen: Die Antwort lautet „Nein“, und zwar im wesentlichen aus folgenden Gründen:

1. Die Korrektur am heiß gelaufenen britischen Immobilienmarkt wäre ohnehin gekommen. Der Brexit war nur der äußere Anlaß für eine sowieso zu erwarten gewesene Entwicklung, die dadurch wahrscheinlich nur beschleunigt wurde.

2. Bei allem schuldigen Respekt, aber: „Wenn die USA husten, kriegt die Welt Schnupfen“, sagt eine alte Börsenweisheit. Die USA spielen ökonomisch gesehen in der Bundesliga. Großbritannien dagegen ist im Vergleich dazu nur Bezirksliga.

3. Die Immobilien-Krise 2007/2008 spielte sich vor dem Hintergrund exzessiver Beleihungen ab. In vielen Fällen gaben die Banken, privat wie gewerblich, mit leichter Hand Kredite bis zur Höhe der zuvor in der Blasenbildung aufgeblähten Verkehrswerte. Das ist heute völlig anders: In ihrer Beleihungspolitik sind die Banken, aus Schaden klug geworden und von der Bankenaufsicht klar an die Kandare genommen, deutlich vorsichtiger geblieben und müssen deshalb nicht in Panik reagieren. Selbst viele Großtransaktionen am Gewerbeimmobilien-Markt werden heute aus Eigenkapital finanziert.

4. Die Zentralbanken haben ebenfalls dazugelernt. Von Mitte 2004 bis Mitte 2006 hatte die FED den Leitzins drastisch angehoben, von 1,00 % auf 5,25 %. Das war die Stecknadel, die den Luftballon zum Platzen brachte. Heute dagegen hat die FED offenbar schon nach ihrem ersten zaghaften Zinsschritt wieder den Leerlauf eingelegt. Auch die Zentralbanken haben gelernt, und werden jetzt wohl schon bei den ersten Anzeichen einer Zuspitzung in den „whatever-it-takes“-Modus schalten.

5. Nach den Zinsschritten der FED 2004/2006 standen Immobilienrenditen in Konkurrenz zu Festverzinslichen. Heute dagegen hat der Bund gerade seine erste 10-jährige Anleihe mit einem Kupon von 0 % begeben. Anleihen, jedenfalls vermeintlich risikoarme Staatsanleihen, bringen praktisch keine Rendite mehr. Aktien sind vielen zu unsicher und volatil. Immobilien sind die einzige verbliebene als einigermaßen sicher geltende Anlageklasse, bei der es überhaupt noch so etwas wie Rendite gibt. Die Immobilien-Renditen sind zwar in den letzten zwei Jahren ebenfalls sehr deutlich zurückgegangen (im Umkehrschluß: die Immobilienpreise haben sich kräftig erholt). Aber relativ gesehen zu Staatsanleihen war der Renditeabstand Anleihen versus Immobilien trotzdem noch nie auch nur annähernd so hoch wie heute.

6. Der Hunger nach halbwegs verläßlicher Rendite spiegelt sich in einer gewaltigen Welle anlagesuchenden Kapitals wider. Im Jahr 2007, das einige Kommentatoren vorschnell mit 2016 und London vergleichen, waren am europäischen Gewerbeimmobilien-Markt 250 Mrd. € anlagesuchend und es kam schließlich zu einem Transaktionsvolumen von 226 Mrd. €. Für 2016 rechnen die Experten, nach einem sehr verhaltenen 1. Halbjahr, trotzdem noch mit einem Transaktionsvolumen von 290-320 Mrd. €. Anlagesuchend sind aber in diesem Markt in diesem Jahr, aus den erwähnten Renditegründen, 700 Mrd. €. Mögliche Preisrückgänge am Immobilienmarkt wären nach unserer Einschätzung deshalb überschaubar und wohl nur vorübergehend, denn aus dem großen Nachfrageüberhang würden dadurch sofort anlagesuchende Investoren aus der Reserve gelockt werden.

Auch in London hat sich die Lage inzwischen schon wieder beruhigt: Am 14.7. wurde die Aussetzung der Anteilscheinrücknahme beim „Aberdeen UK Property Funds“ vorzeitig wieder aufgehoben. Den Anlegern dieses Fonds bleibt also nach einer Schrecksekunde nur der 17 %ige Schnitt bei den Verkehrswerten. Das ist ein lokal auf Großbritannien begrenztes Phänomen und wird es auch bleiben.

Als Finanzhistoriker haben wir allerdings auch gelernt, daß üblicher Weise oft genau die Dinge einzutreten pflegen, die vorher jeder Experte für ausgeschlossen gehalten hatte bzw. die gar keiner überhaupt auf dem Ticket hatte. Also müssen wir uns trotz unserer anders lautenden Einschätzung die Frage stellen: Was ist, wenn die Skeptiker doch Recht behalten, die schon jetzt Parallelen zu 2007/2008 ziehen?

Dazu wieder ein Blick zurück in die Geschichte: Die beiden zitierten Bear-Stearns-Fonds brachen im Sommer 2007 zusammen. Bis Ende 2007 hielten sich die Märkte aber noch stabil auf dem erreichten Niveau. Erst Anfang 2008 begann alles zu kollabieren, und im Februar 2009 war dann der Boden erreicht.

Sollte also der Knall am Londoner Immobilienmarkt jetzt im Sommer 2016 mehr gewesen sein als nur ein Wetterleuchten, dann müssten wir ab Anfang 2017 mit deutlichen Marktkorrekturen rechnen. Bis dahin aber werden unsere Fonds auch ihre restlichen Immobilienbestände weitgehend abgestoßen haben: Der AXA Immoselect wahrscheinlich alles, der CS Euroreal und der KanAm grundinvest alles bis auf wenige Restobjekte; die größten Zweifel, ob er auch bei Eintritt dieses worst-case-Szenarios noch rechtzeitig die Kurve kriegen würde, haben wir derzeit beim SEB ImmoInvest. Die übrigen Fonds in unserem Portfolio besitzen bereits heute keine nennenswerten Immobilienbestände mehr, sondern „glänzen“ mit Cash-Beständen, die z.T. sogar oberhalb ihres aktuellen Börsenwertes liegen.

Selbst wenn die Ereignisse im Sommer 2016 sich in der späteren Rückschau als der Anfang vom Ende erweisen sollten, kann man bei Betrachtung der denkbaren Zeitachse also erwarten: Selbst im schlimmsten anzunehmenden Fall wären wir mit unserer Anlagestrategie, gerade in dem Moment als die Zugbrücke anfing hochzugehen, noch sicher in die rettende Burg gehüpft. Daß das vom timing her dann immer noch wunderbar gepaßt haben würde, ist allerdings nicht unser Verdienst – wenn es tatsächlich so käme, dann wäre es in vieler Hinsicht auch einfach nur Glück gewesen.

 

 

Categories: Neuigkeiten