Des Kaisers neue Kleider

Onvista (heute zu comdirect gehörend) ist eine prima Informationsplattform, die der Verfasser dieser Zeilen gerne mehrmals täglich nutzt, um bei unseren Fonds über Kurse, Angebot und Nachfrage stets informiert zu sein. Da reinzuschauen ist auch für Nicht-Kunden kostenlos, aber halt um den überall üblichen Preis, dass man während der Session permanent mit Werbung zugedröhnt wird.

Normaler Weise nimmt man den ganzen Begleit-Schmutz überhaupt nicht zur Kenntnis. Doch vor zwei Wochen stutzte der Verfasser dieser Zeilen dann doch. Der Bitcoin war gerade auf neuen Höchstkursen. Und ein Werbetreibender, den ganzen Rummel für sich nutzend, machte sich auf Onvista anheischig, zum Bitcoin Research zu liefern.

Das ganze wurde am gleichen Tag noch verschlimmert dadurch, dass in einem Telefonat mit einem unserer Aufsichtsräte derselbe den Verfasser dieser Zeilen doch tatsächlich fragte, ob er denn auch schon mal was mit Bitcoin gemacht habe und was er davon halte. Besagter Verfasser beschied den Anfragenden, eher würde er sich die Hand abhacken als dass er anfangen würde in Bitcoin Geld zu stecken. Der Begriff „investieren“ mag in dem Zusammenhang noch nicht einmal über die Lippen zu kommen – denn „investieren“ wäre ja eine vernunftgesteuerte Handlung, für die man rationale Gründe vorbringen könnte.

Allerdings hat der unbestreitbar sehr gealterte Verfasser dieser Zeilen auch noch verklärte aus den 1970er und 1980er Jahren stammende Vorstellungen, was die Natur von Research und die davon zu erwartende Qualität angeht. Er ist es gewohnt, Fakten herauszufinden und auf deren Basis Analysen zu machen. Wenn ich die Abfüllkapazität eines Mineralbrunnens kenne und weiß, zu welchem Durchschnittspreis die Rülpsbrause üblicher Weise verkauft wird, dann finde ich so heraus, wie hoch allerhöchstens der Umsatz ausfallen kann. Multipliziert mit der Umsatzrendite kriege ich dann eine Vorstellung, was die so analysierte Bude im besten Fall verdienen könnte. Doch was für Fakten könnte man beim Bitcoin herausfinden, die ein seriöses Research ermöglichen, das über den berühmten Blick in die Kristallkugel qualitativ hinausgeht?

Ich finde keine, und wenn man sich dieses sogenannte Research anschaut, dann ist es auch nichts weiter als der Versuch, aus vergangenen Entwicklungen und der Markttechnik eine Prognose abzuleiten, wie sich der Kurs vielleicht entwickeln könnte. Wenn nicht neue Einflußfaktoren dazu kommen. Und dass das eigentlich immer und überall passiert, das dürfen wir ja gerade anhand einer ganz speziellen und noch vor einem Jahr von niemandem ernsthaft erwarteten Situation lernen.

Man verzeihe dem Verfasser dieser Zeilen, dass er als gelernter Finanzhistoriker zum Thema Bitcoin eine unzweideutige Meinung hat: Der Bitcoin ist die Tulpenzwiebel des 21. Jahrhunderts. Sein vorgeblicher „Wert“ ist nicht rational zu begründen, sondern begründet sich ausschließlich in der Überzeugung heutiger Käufer, dass morgen ein noch größerer Idiot aufstehen und einen noch höheren Preis bezahlen wird. Angst und Gier – zumindestens mal als Spiegelbild dieser Grundstimmungen eines jeden Kapitalanlegers taugt ein Blick auf den Bitcoin-Kurschart dann doch.

Zu mehr aber auch nicht. Zu diesem rein virtuellen Phänomen eine realwirtschaftliche Basis erkennen zu wollen, die Grundlage für ein seriöses Research liefern könnte: Das ist ungefähr genau so als wie wenn jemand einen wissenschaftlichen Artikel über die isolierende Wirkung der Kleidung eines nackten Mannes abliefern würde.

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