Die Stunde des Statistikers

Es ist eines dieser Themen, über das man gemeinhin eher nicht spricht. Aber ja, es stimmt. Der Verfasser dieser Zeilen geht einmal im Monat zur Fußpflege. Gestern zum Beispiel mal wieder.

„Waren Sie kürzlich in China? Dann kommen Sie besser nicht rein.“ lautete die freundliche Begrüßung meiner Fußpflegerin, im übrigen bekennende Zuschauerin von Fernsehsendungen wie „Dschungelcamp“. Die überzeugend vorgetragene Versicherung, der letzte China-Aufenthalt läge schon fast ein Jahr zurück, verschaffte dem Verfasser dieser Zeilen schließlich doch Eintritt in’s Fußpflegestudio.

Das Coronavirus, so erfuhr man vorgestern von einem Sprecher des Auswärtigen Amtes, sei „weit weniger gefährlich als zum Beispiel Sars“. Zur Erinnerung: Mit der Lungenkrankheit Sars infizierten sich zur Jahreswende 2002/03 weltweit etwa 8.000 Menschen, 744 von ihnen kamen um’s Leben.

An Masern erkrankten letztes Jahr weltweit etwa 10.000.000 Menschen, 142.300 von ihnen starben an der Krankheit.

Nun gehört der Verfasser dieser Zeilen nicht zu den Lesern der BLIND-Zeitung. Über die von diesem Presseerzeugnis in den letzten Tagen auf der Titelseite behandelten Themen kann er deshalb nur Mutmaßungen anstellen. Er mutmaßt aber, daß das Coronavirus dort auch vorkam.

Hingegen hält es der Verfasser dieser Zeilen für nicht wahrscheinlich, daß es in diesem Jahrtausend auch die Masern schon mal auf die Titelseite der BLIND-Zeitung geschafft haben. Obwohl die Zahl der ihnen zum Opfer Gefallenen um mehr als das hundertfache größer ist – und das Jahr für Jahr wieder.

Würde der Verfasser dieser Zeilen versucht haben, seiner Fußpflegerin an diesem Beispiel zu verdeutlichen, daß der verständige Leser oder Zuhörer einer Nachricht stets auch deren Relevanz im Auge (bzw. im Ohr) behalten sollte, würde sie ihn anschließend wohl nur noch angeschwiegen haben. Obwohl es natürlich für die Selbsteinschätzung der eigenen weiteren Lebenserwartung ungleich zielführender gewesen wäre, wenn sie ihren Besucher statt nach einer möglichen China-Reise lieber nach einer Masern-Vorerkrankung gefragt hätte.

Nach dem dieses Jahr ersten Eintrag in das Lexikon des unnützen Wissens entlassen wir unsere Leserschaft in ein hoffentlich erholsames Wochenende mit dem Bemerken, daß nach den Beobachtungen des Verfassers auch die Finanzmärkte auf jede neue Nachricht erst einmal völlig unreflektiert reagieren und gewöhnlich erst im zweiten Schritt über die Relevanz der Nachricht nachdenken. Oder erinnern Sie sich heute noch auf Anhieb an den Namen des iranischen Generals, den die Imperialisten von jenseits des Atlantiks vor genau drei Wochen mit gezieltem Raketenbeschuß umgebracht haben?

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