Ehrbarer Kaufmann versus Winterkörner
Der Verfasser dieser Zeilen dankt der geneigten Leserschaft für dutzende in der Mehrzahl sehr aufschlußreiche Kommentare zu seinem Beitrag vom 1. April („Ein neuer Finanzgigant entsteht“). Sein besonderer Dank geht an unseren Aktionär C. S. aus H. sowie Prof. Dr. R. in B. für die unmittelbare Zusendung zweier Pülleken resp. eines Kistchens Puffbrause.
Nicht zufällig erschien der Beitrag am 1. April. Die verehrten Damen und Herren Aktionäre können also versichert sein, dass der Verfasser dieser Zeilen und Vorstand der CS Realwerte Aktiengesellschaft in Wirklichkeit nicht die Absicht hat, eine Mauer zu bauen, … ääh … die CS Realwerte Aktiengesellschaft zum zweitgrößten Aktionär der ehrwürdige 173 Jahre alten Banque Nationale de Belgique S.A. und in der Folge durch simple Hebelmechanik der Rechnungslegung zu einem Finanzgiganten zu machen. Die bitterböse kleine Satire sollte lediglich am Beispiel eines besonders krassen Extremfalls zeigen, was IFRS in Wirklichkeit ist: Nichts weiter als ein Durchlauferhitzer zur Erzeugung von heißer Luft.
Als dem Verfasser dieser Zeilen im letzten Jahrhundert in der Abendschule die altmodische Art der Buchführung und Bilanzierung beigebracht wurde, galt noch das Niederstwertprinzip. Die Anschaffungskosten waren stets die obere Grenze für die Bilanzierung eines Vermögenswertes – nur für ggf. niedrigere Bewertungen spielten Marktwerte überhaupt eine Rolle. Beim strengen Niederstwertprinzip nannte man es das Imparitätsprinzip: Nicht realisierte Verluste waren auszuweisen, nicht realisierte Gewinne dagegen nicht.
Damit sind wir jahrzehntelang gut gefahren, und auch das deutsche Nachkriegs-Wirtschaftswunder fand statt, obwohl Börsentermingeschäfte oder gar Leerverkäufe zu der Zeit noch bei Strafe verboten waren. Bis ab Anfang der 1990er Jahre ein paar ausgemachte Schwachköpfe unter geistiger Führung der Dame Thatcher auf die Idee kamen, die Finanzmärkte und in der Folge auch die Rechnungslegungsvorschriften müssten „liberalisiert“ werden. Was uns das gebracht hat, sehen wir mit jeder über uns hereinbrechenden Krise auf’s Neue. Die zombiemäßige Wiederauferstehung finanzgeschichtlich Untoter wie Leerverkäufer beispielsweise.
Das wirklich Fatale an der ganzen eigentlich nur satirisch gemeinten Geschichte ist: Früher wäre das so ganz bestimmt nicht gegangen. Aber heute? Den im Beitrag vom 1. April skizzierten Plan zur Erschaffung eines Finanzgiganten in die Tat umzusetzen wäre völlig legal, und der Verfasser dieser Zeilen könnte es tatsächlich mit wenigen Federstrichen tun. Die Bestätigung lieferte ganz ungeplant das „Handelsblatt“ am 5.4. (siehe unser Beitrag „Und gleich der nächste Finanzgigant“ zur Credit-Suisse-Übernahme durch die UBS). Also möchte besagter Verfasser lieber gar nicht wissen, wie viele Bilanzen auf Gottes Erdboden inzwischen bereits nach diesem Strickmuster als potemkinsche Dörfer zusammengezimmert sind. Ich sage nur „immaterielle Vermögensgegenstände“ oder „Goodwill“, also die Bilanzierung von real gar nicht existierendem Phantomvermögen. Nur weil da irgendwelche Bilanzakrobaten hinter irgendeiner dunklen Ecke einen Marktwert zu erkennen glauben.
Sollten Sie, verehrte Leserinnen und Leser, also bei irgendeiner Kapitalanlage (es muß ja gar nicht Wirecard gewesen sein) schon mal in’s Klo gefasst haben, so habe ich für Sie die zugegebener Maßen wenig tröstliche ultimative Weisheit vom Rübenfeld: Das Geld ist nicht weg. Es hat nur wer anders. Oder, zweite Variante nach IFRS: Es war in Wirklichkeit nie da.
Ich hätte wirklich so gerne bei den Vorständen dieser Republik den von keinerlei Erwartung unappetitlich hoher Boni geplagten ehrbaren Kaufmann zurück. Von dem nicht ständig verlangt wird, vor allem über „Wertsteigerung“ für die Anteilseigner nachzugrübeln. Die geht nämlich bei verständiger Betrachtung der Gesamtzusammenhänge gemeinhin auf Kosten der Menschen in Entwicklungs- und Schwellenländern, der Beschäftigten hier bei uns, der Kunden und wenn’s am Ende schief geht der Allgemeinheit.
Aber die Winterkörner dieser Welt dürfen selbst dann den größten Teil ihrer unanständigen Boni behalten. Und zu allem Überfluß auch noch auf verhandlungsunfähig machen, wenn sie sich der Verantwortung stellen sollen. In längst vergangenen Zeiten wäre einem da unter Umständen ein „vaterlandslose Gesellen“ über die Lippen gerutscht. Womit sich der Kreis zu den Leerverkäufern unserer Tage dann auch wieder geschlossen hätte. Alles Leute, die ganz unbelastet von irgendeiner Moral nur ihren eigenen Vorteil auf Kosten vom Rest der Menschheit im Auge haben. Deren gesamtwirtschaftlicher Nutzen aber exakt so groß ist als wie wenn jemand auf dem Mond Zigarettenstummel auffegt. Denken Sie mal drüber nach …
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