Frau Merkel und die Wirtschaftskompetenz
Ende März hatten wir an dieser Stelle etwas süffisant die scheinbar verloren gegangene Wirtschaftskompetenz CDU-geführter Regierungen am Beispiel der Zahl börsennotierter Aktiengesellschaften auseinandergepflückt.
Börsennotierte Aktiengesellschaften gibt es in Deutschland eine pro 180.000 Einwohner, in Polen eine pro 46.000 Einwohner, in Südkore eine pro 24.000 Einwohner und in Australien eine pro 12.000 Einwohner.
Selten haben wir auf einen Beitrag so viele Leserzuschriften per email bekommen wir hier. Unter anderem kam auch das Argument, man könne ja die gewachsenen Aktienkulturen angelsächsischer Länder nicht ohne weiteres mit deutschen Verhältnissen vergleichen. (Was aber auch nicht erklären würde, warum die Verbreitung börsennotierter AG’s in Polen vier mal größer ist als in Deutschland.)
Wir nehmen das Argument aber gerne auf. Denn (sicher ungewollte) Schützenhilfe leistete uns hier vor wenigen Tagen die Eugen-Gutmann-Gesellschaft (die von der Dresdner Bank geerbte heutige Historische Gesellschaft der Commerzbank), deren jüngste Publikation die „Finanzierung des technologischen Fortschritts durch die Börsen im Deutschen Kaiserreich“ zum Thema hatte. Über die Entwicklung im Kaiserreich bis zum Ausbruch des 1. Weltkrieges lesen wir dort:
„Damit fanden innerhalb von vier Jahrzehnten bis 1913 insgesamt 1.178 Unternehmen den Weg an eine deutsche Börse. Das sind mehr Börsengänge als insgesamt zwischen 1949 und 2006. In diesem Zeitraum waren es lediglich 957.“
Unsere Fundamentalkritik an deutscher Wirtschafts- und Finanzpolitik der Nachkriegszeit wird hier also durch unwiderlegbare Zahlen noch gestützt. Wir sind in mehr als einem halben Jahrhundert Nachkriegsentwicklung in der Innovationsfinanzierung nicht besser, sondern merk(el)lich schlechter als unsere Vorfahren Ende des 19. Jahrhunderts. Nun gab es in der CDU schon immer (vorzugsweise später mit dem Posten des Kanzleramtsministers bedachte) Haarspalter, die jede Wahrheit argumentativ zu verdrehen vermochten. Ein typischer Vertreter dieser Art würde jetzt wohl argumentieren, daß Ende des 19. Jahrhundert große Teile Schlesiens ja auch noch zu Deutschland gehörten, während sie heute die polnische Statistik so glänzend dastehen lassen. Der Finanzhistoriker dagegen würde trotz dieser historisch bedingten Unschärfe bei seinem vernichtenden Urteil über die Fähigkeiten deutscher Wirtschaftspolitik bleiben wollen.
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Mal kucken, ob Frau Merkel auch einen Katalog anfordert – wenn sie nicht unbedingt bis zum Ende der Legislaturperiode weitermachen will, bräuchte sie ja demnächst eine neue intellektuell herausfordernde Beschäftigung und könnte schließlich auch da noch in die Fußstapfen ihres Ziehvaters Helmut Kohl treten: Der war nämlich auch Historiker. Als der Verfasser dieser Zeilen 1955 in Goslar das Licht der Welt erblickte, da erblickte unser Altkanzler als Geschichtsstudent in Heidelberg gerade das abendlich-herbstliche Licht der Studentenkneipen. Einmal bin ich ihm übrigens sogar persönlich begegnet: In einem Bad Homburger Hotel bereitete es ihm ein offenkundig diebisches Vergnügen, allen seinen Leibwächtern zu entwischen (die anschließend wie aufgescheuchte Hühner kreuz und quer durch die Lobby rannten) und sich zu einem ganz normalen Menschen wie mir an den Tisch zu setzen mit den Worten: „Ha, hab‘ ich’s mal wieder geschafft die loszuwerden.“
Unser Gespräch dauerte allerdings nur wenige Minuten. Dann rief neben uns ein Schlapphut in seine Sprechmuschel: „Ich habe ihn!“ Und da sind wir auch gleich bei einem ganz anderen Thema: Lebensqualität.
Ich grantele hier wirklich gern von meinem Rübenfeld über Wirtschaftspolitik, blinde Fortschritts- und Wachstumsfanatiker, außer Kontrolle geratene Finanzmärkte, von Algorithmen gesteuerte Werbebombardements für Inkontinenzprodukte die auf den nach Eigenangaben 117 Jahre alten Prof. Dagobert Duck herniederprassseln (eine von uns geschaffene Kunstfigur, aber auch nur das zu begreifen ist KI schon zu blöd). Ich überspitze dabei gerne und versteige mich zu der Behauptung, der Siegeszug der Künstlichen Intelligenz werde das Ende der Menschheit bedeuten (jedenfalls das Ende von dem, was wir heute noch unter menschlicher und menschenwürdiger Existenz verstehen).
Aber Verantwortung in diesen Zeiten des Umbruchs würde ich nicht gern übernehmen wollen. Deshalb würde ich auch nie mit Frau Merkel tauschen wollen. Denn wenn ich nach einem fröhlichen Abend mit Freunden besoffen in den Straßengraben falle, interessiert das keine Sau, außer vielleicht die beste Ehefrau von allen, und auch das nur aus Sorge um den hinterherigen Zustand meines von ihr möglicher Weise zu flickenden Gewandes. Wenn das Frau Merkel passierte hätten wir am nächsten Tag eine Regierungskrise.
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