In memoriam Dr. Werner P. Schmidt
„Dieser Piech! Kann noch nicht mal für sein Haus in Marbella die Dachdeckerrechnung in Peseten bezahlen, aber mir vorschreiben wollen, wie man Devisentermingeschäfte macht.“
1996 wurde der Verfasser dieser Zeilen unfreiwilliger Zuhörer dieses Telefongesprächs zwischen dem Ex-VW-Finanzvorstand Dr. Werner P. Schmidt und Walter Martius, vor Urzeiten der große Mann bei der Schutzgemeinschaft der Kleinaktionäre. Martius und der Verfasser dieser Zeilen saßen in Wuppertal gerade nett bei Kaffee und Kuchen zusammen, als Dr. Schmidt anrief. Martius, ein Unikum wie er war, drückte mit einem bübischen Grinsen die Lautsprechertaste. Dann ließ er, ohne es dem Anrufer zu sagen, seinen Besucher das Telefonat mithören. Also den Vorstand einer AG, deren Aufsichtsrat der Anrufer Dr. Werner P. Schmidt zu der Zeit selber angehörte. Nachdem die anderen Betroffenen ein Vierteljahrhundert später alle nicht mehr auf Erden weilen, braucht man diese kleine Anekdote nicht mehr länger geheim zu halten.
WPS, wie er in Konzernkreisen nur genannt wurde, und Ferdinand Piech verband schon lange eine ungemein herzliche Abneigung gegeneinander. WPS war seit 1967 bei Volkswagen. Schmunzelnd erzählte er später, wie sehr er sich da erst einmal über sein schönes neues Büro in der Vorstandsetage des VW-Hochhauses gefreut hatte, auf der Südseite mit grandiosem Ausblick bis zum Harz. Erst im Sommer des nächsten Jahres verstand er, warum ihm als dem Neuling im Vorstand seine altgedienten Kollegen die Top-Lage kampflos überlassen hatten. Da knallte nämlich im Sommer ungebremst die Sonne rein, und Klimaanlagen gab es damals nicht einmal in den Autos des VW-Konzerns, geschweige denn in der Vorstandsetage.
1974 wurde WPS Vorstandsvorsitzender der VW-Tochter AUDI NSU in Ingolstadt. Schon 1972 hatte dort, im Alter von gerade erst 35 Jahren, als Hauptabteilungsleiter für Sonderaufgaben der technischen Entwicklung ein gewisser Ferdinand Piech angefangen. Dr. Werner P. Schmidt war nun sein Chef.
Zu der Zeit hatte Audi das Image einer verstaubten Beamtenkarosse. „Als ich bei Audi anfing, stand Audi hinter Opel und Ford in der Wahrnehmung der Menschen, auch in der Technik,“ erinnerte sich Ferdinand Piech, der wenige Jahre später AUDI-Technikvorstand wurde.
Doch Mitte der 1970er Jahre, noch ganz unter dem Eindruck der großen Ölkrise, wollte Volkswagen die 1965 erworbene kränkelnde Tochter in Ingolstadt am liebsten wieder loswerden. Acht Jahre lang hatte sich zuvor die Daimler-Benz AG an den widerspenstigen Ingolstädtern die Zähne ausgebissen. Daimler hatte die Auto-Union GmbH 1957 auf Betreiben ihres Großaktionärs Friedrich Flick gekauft. Da produzierte DKW noch Zweitakter-Modelle, und in Ingolstadt glaubte man fest an die Zukunft dieses Konzepts. Das Drängen aus Stuttgart auf Neuentwicklungen wurde konsequent ignoriert.
Alle diese Probleme kannte Piech, aber auch das in der Marke Audi liegende Entwicklungspotential war ihm irgendwie klar. Also bat er seinen Chef Dr. Schmidt eines Tages um einen Termin und machte ihm ein unglaubliches Angebot: Seine Familie, insbesondere seine Mutter, sei durchaus interessiert, AUDI NSU zu kaufen. Dr. Schmidt ging damit nach Wolfsburg in den VW-Aufsichtsrat – doch der lehnte ab, und zwar nur deswegen, weil die Familien Porsche/Piech darauf bestanden hatten, als Kaufinteressenten namentlich erst einmal nicht genannt zu werden. Sonst hätte sich die automobile Welt in Deutschland wohl vollkommen anders entwickelt.
Zur gleichen Zeit schlug bei AUDI NSU ein junger Ingenieur seinem Chef Piech vor, an die Zweirad-Tradition der Marken Audi, DKW und NSU anzuknüpfen und mit flotten Motorrädern gegen Audis Hosenträger-Image zu kämpfen. Piech war schnell mit dabei. So enstand 1975-77 in einem abgeschirmten Bereich der Audi-Entwicklungsabteilung das Motorrad Z02, dessen Vierzylinder 110 PS leistete und das Tempo 200 erreichte. Regelmäßig kam Piech nach Feierabend vorbei, um nach den Fortschritten des Projekts zu sehen.
Piech war nun Technikvorstand bei Audi, doch Vertriebs- und Marketing-Entscheidungen wurden in Wolfsburg getroffen. Und Vertriebsvorstand in Wolfsburg war inzwischen Dr. Werner P. Schmidt. „Wir hätten Marktführer werden können,“ erinnerten sich die Ingolstädter Entwickler später, „die Japaner kamen mit ihren Maschinen alle erst viel später.“ Doch die Wolfsburger Mutter ließ die Ingolstädter Motorrad-Entwickler eiskalt abblitzen. Die Entscheidung der VW-Vorstände, die sich bei der Sache von Piech und seinen Leuten komplett übergangen fühlten, hat ein Beteiligter noch heute im Ohr: „Wir sind doch keine Fahrradhändler, hat der Schmidt gesagt. Der war damals Vertriebschef.“
Damit war im Verhältnis Piech zu WPS das Wort „unterkühlt“ endgültig eine zarte Untertreibung. Zu seinem 75. Geburtstag 2012 machte sich Piech später selbst das schönste Geschenk, indem er die Volkswagen-Tochter Audi die italienische Motorradschmiede Ducati kaufen ließ. Das darf nach dem krachenden Scheitern seiner ersten Zweirad-Pläne durchaus noch als späte Genugtuung verstanden werden, die sich Piech für die 35 Jahre zuvor erlittene Demütigung verschaffte.
Vorerst jedoch betrieb Piech erst einmal mit Nachdruck seinen eigenen Aufstieg im VW-Konzern und wartete geduldig. „Rache ist ein Gericht, das kalt serviert wird“, wusste schon Altkanzler Helmut Kohl.
1993 wurde Piech Vorstandsvorsitzender der Volkswagen AG. Damit verpasste WPS erneut den Sprung an die Spitze: Schon einmal, als der damalige VW-Chef Toni Schmücker durch einen Herzinfarkt zum Aufgeben gezwungen wurde, war WPS 1981 dessen Favorit für die Nachfolge an der Konzernspitze. Doch er scheiterte am Widerstand der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat.
Unter Piech als neuem Vorstandsvorsitzenden wurde WPS kurz danach Finanzchef des Volkswagen-Konzerns. Als Kontrollelement, wie viele sagen, um auf den unberechenbaren Piech aufzupassen. Doch Piech, für seinen, sagen wir es mal so, eigenwilligen Führungsstil ohnehin nicht überall nur beliebt, ließ sich das nicht lange gefallen: Nachdem es WPS in einer Vorstandssitzung gewagt hatte, ihm zu widersprechen, setzte Piech den Aufsichtsrat unter Druck („Wer den Karren aus dem Dreck ziehen soll, muß sich seine Mannschaft selbst aussuchen dürfen“) und ließ WPS Ende 1994 kurzerhand rausschmeißen.
Das war der Kontext, in dem es die Aktien-Gesellschaft für Historische Wertpapiere 1995 überhaupt erst wagen konnte, Dr. Werner P. Schmidt ein Aufsichtsratsmandat anzutragen. Denn er war nicht nur mit Leib und Seele Automanager, sondern auch schon seit Jahrzehnten begeisterter Sammler von Historischen Wertpapieren. Zur Überraschung aller sagte er Ja, und wurde dann stellvertretender Vorsitzender unseres Aufsichtsrates.
Seine Sammelleidenschaft galt vor allem, wen könnte es wundern, Historischen Wertpapieren der Automobilindustrie. Doch auch Historischen Wertpapieren aus Brasilien und China galt sein Interesse. Schließlich hatte WPS vor Übernahme des Vorstandsvorsitzes bei AUDI NSU die Volkswagen-Tochter VW do Brasil geleitet und später als Vertriebsvorstand maßgeblich am Aufbau des China-Geschäfts des Konzerns mitgewirkt.
Auch nach seinem altersbedingten Rückzug aus unserem Aufsichtsrat blieb ein enger Kontakt. Das lag nicht nur am gemeinsamen Hobby Historische Wertpapiere, sondern auch an der Leidenschaft für das Golf-Spiel, das WPS mit den beiden Vorständen der AG Hist teilte. Wobei der Verfasser dieser Zeilen nicht verheimlichen sollte, daß seine eigene Spielstärke von Experten wohl als „begeistert, aber völlig untalentiert“ eingestuft werden würde. Bei WPS führte ein böses Rückenleiden später zu ähnlichen Resultaten. So kam es schon mal vor, daß unser Dreier-Flight auf dem besonders kompakt gebauten Golfplatz in Braunschweig von einem Abschlag startete und nach zwei völlig verzogenen Abschlägen dann auf drei verschiedenen parallel laufenden Bahnen weiterspielte …
Am 3. Januar 2020 ist Dr. Werner P. Schmidt im Alter von 87 Jahren gestorben. Wir alle werden ihn gern in Erinnerung behalten als außergewöhnlichen Menschen, der unsere Entwicklung auf ganz besondere Weise über viele Jahre mit geprägt hat.
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