Kraftwerke müssen Sie kaufen

Bei Lichte betrachtet sind Kraftwerke ja auch nur eine spezielle Klasse von Immobilien. Unter dem Aspekt „Kohleausstieg“ und so haben wir da bisher aber die Nase gerümpft. Und die Restnutzungsdauer, eine für die Immobilienbewertung unerläßliche Größe, unterliegt mindestens bei Atomkraftwerken bekannter Maßen unkalkulierbaren Schwankungen. Auch das ließ uns bisher davon Abstand nehmen, uns mit dieser Anlageklasse zu beschäftigen.

Seit heute früh haben wir da unsere Meinung aber gründlich geändert. Ganz radikal. Man müsste langsam sogar überlegen, für ganz billig Geld (das ist ja unsere Spezialität als Müllmänner am Ende der Kapitalmarkt-Nahrungskette) stillgelegte Kraftwerke aufzukaufen. Es ergibt sich plötzlich auch die ökonomische Logik, warum sich der finnische Atomkraftwerksbetreiber Fortum gerade die Mehrheit an der früheren e.on-Kraftwerkstochter Uniper sichert. Unklar bleibt angesichts seiner eigenen Bedarfsprognosen nur, weshalb e.on-Chef  Johannes Teyssen Uniper überhaupt verkaufte.

Heute früh lasen wir nämlich im Handelsblatt, was Teyssen dem Weltwirtschaftsforum in Davos gleich zu Beginn seiner Rede mit auf den Weg gab: Im Jahr 2017 hat die für das Schürfen der Kunstwährung „Bitcoin“ erforderliche Rechnerkapazität weltweit 40 Terrawattstunden Energie verbraucht. Das ist so viel wie ansonsten ganz Ungarn in einem Jahr. Und schon in 2020 werde allein das Phänomen „Bitcoin“ mit der dafür erforderlichen Rechnerleistung mehr elektrische Energie verbrauchen als heute die ganze Welt zusammen.

Wir hatten schon immer eine sehr kritische Einstellung zur digitalen Welt. Und so ist der Verfasser dieser Zeilen im wirklichen Leben auch so etwas wie ein digitaler Einsiedler und besitzt nicht einmal ein Handy. Ich liebe mindestens 20 Jahre alte Gebrauchtwagen, weil mir die Vorstellung den Schlaf raubt, mein Auto könnte mit irgendwem oder irgendwas mobil kommunizieren, ohne daß ich das überhaupt mitbekomme. Ich bin ein Mensch, und möchte nicht zum anonymen Netzknoten in einer digitalisierten Welt degradiert werden. Dieser Blog ist – Sie werden es kaum glauben – die einzige Ausnahme, die ich mir von meiner grundsätzlichen Einstellung genehmige.

Wussten Sie übrigens, daß die famose Alexa, diese Mißgeburt aus dem Hause Amazon, alle Stimmen die sie im Raum hört aufzeichnet (und zwar selbst dann wenn sie eigentlich ausgeschaltet ist) und zur Speicherung auf die Amazon-Rechner weiterleitet? Egal an welchem Ort der Welt Sie sich später einmal aufhalten: Jeff Bezos seine Alexa erkennt Sie in dem Moment, wo Sie auch nur einen Ton sagen. Und teilt Ihren Aufenthaltsort gegen entsprechende Gebühr bestimmt auch jedem mit, der das gern wissen möchte. Das Ausspionieren von Gewohnheiten und Bewegungsprofilen lässt sich nun mal wunderbar kommerzialisieren. Privatsphäre? Was bitte soll das denn sein?

Ich selbst habe keine Alexa und werde so ein Werkzeug des Teufels auch nie anschaffen. Aber meine Tochter hat eine. Konsequenter Weise müsste ich also auch auf der Geburtstagsfeier unseres Enkelchens stumm wie ein Fisch bleiben. Denn selbst wenn ich nur auf die Frage nach einem Stück Kuchen ein „Ja, bitte“ dahinhauchen würde, wäre meine Stimme bei Amazon schon gespeichert und zukünftig wäre ich überall zu orten. Von einem Privatunternehmen, wohlgemerkt.

Man empfindet spontanes Bedauern für Erich Mielke: Der Mann hatte schon brilliante Ideen, aber die waren seiner Zeit einfach viel zu weit voraus. Und im Gegensatz zu Jeff Bezos hatte er nicht erkannt, daß für die Akzeptanz beim Nutzer auch ein Überwachungsstaat ein verdammt gutes Marketing braucht. Unter einem Chef Jeff Bezos wäre die DDR wahrscheinlich gar nicht gescheitert.

Doch zurück zum Thema: Was wir heute von Herrn Teyssen erfuhren, ist schlichtweg erschreckend. Es bestärkt uns nur in der Überzeugung, daß es höchste Zeit ist, die kindlich-unkritische Experimentierfreude der digitalen Welt schleunigst sinnvollen Regeln und Beschränkungen zu unterwerfen.

Ausgesprochen entlarvend ist, was Google-Kreativchef Frederik Pferdt auf einer Handelsblatt-Tagung sagte: „Mehr fragen, mehr ausprobieren. Frederik Pferdt ruft die Teilnehmer auf, ein bisschen mehr wie Achtjährige zu sein.“ Ist schon klar, Herr Pferdt, und aus Ihrer Sicht auch nur allzu nachvollziehbar: Achtjährige kann man als Kunden und Nutzer natürlich noch viel leichter verarschen.

Schlußendlich kann das Internet keine Privat-Veranstaltung bleiben. Organisationen wie Google, Amazon & Co. gehören genau so öffentlich kontrolliert wie das in der Rundfunk- und Fernsehwelt in den meisten Ländern dieser Erde – aus gutem Grunde – seit Jahrzehnten der Fall ist. Ansonsten wird dieser Planet mit ungezügeltem Fortschreiten der Digitalwelt untergehen, und die anfangs auch nicht bedachten Folgen der Atomkraft werden nur ein Fliegendreck sein im Vergleich zu dem, was uns als Folgen der Digitalisierung noch bevorsteht.

Ich sehe sie schon ganz entrüstet die Augen rollen, die Fortschrittsgläubigen unter den Lesern hier. Was erlauben Benecke?! Altius, citius, fortius – das war schon immer so! Doch denen rufe ich jetzt noch keck hinterher: Fortschritt ist wie ein Haufen Hundedreck am Straßenrand. Seine Abwesenheit würde von niemandem bemerkt werden. Meine Lebensqualität entspringt dem, was ist. Nicht dem, was sein könnte, wenn wir die Welt weiter wie die Geisteskranken umkrempeln.

Und, nebenbei bemerkt: Bekanntlich ist das alte Rom am Ende gescheitert, trotz „altius, citius, fortius“. 25.000 Jahre dagegen überlebte die Mentalität der noch traditionell lebenden Angehörigen des Volkes der Khoi-San in Namibia. Sie arbeiten im Schnitt nur 14,4 Wochenstunden – nämlich genau so viel, wie sie in ihrer egalitären Gesellschaftsordnung brauchen, um jeden Tag einfach zu (über)leben. Mit unserer Leistungsgesellschafts-Mentalität sind wir nur leider heute auf dem besten Wege, auch diese einmalige Kultur ein für allemal zu zerstören.

Mit diesen ungewohnten Tönen verabschiede ich mich erst einmal. Ich fahre vier Tage nach Washington. Wenn ich Onkel Donald etwas ausrichten soll, lassen Sie es mich bitte bis heute abend unter info@CSrealwerte.de wissen. Ich gebe es gerne weiter.

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