Lehman Sisters
Letzten Freitag war der Verfasser dieser Zeilen mit der besten Ehefrau von allen in Berlin: Die Schwester der Göttergattin hatte gerade 60. Geburtstag gehabt, und so etwas feiern wir traditionell bei unserem Lieblings-Chinesen an der Leipziger Straße. Was wir vorher nicht wussten: Am Freitag war Christopher-Street-Day. Und wie heißt die Christopher Street bei uns in Berlin? Genau: Leipziger Straße.
Nun gut. An das Wummern der Bässe von den unzähligen auf der Leipziger Straße aneinandergereihten Party-Lastwagen gewöhnte man sich zwar nicht wirklich, aber es verhinderte sehr effizient, die bei solchen Gelegenheiten sonst erwartete Konversation führen zu müssen. Was ja bei Leuten unseres Alters beim Essen gemeinhin ohnehin nur dazu führt, dass man sich irgendwann verschluckt und dann seinem Gegenüber die Bluse vollhustet.
Im übrigen war das fast wie im Zoo: Die Betrachtung einer großen Zahl vorbeiziehender Kundgebungsteilnehmer/innen zauberte dem Verfasser dieser Zeilen ein durchaus verträumtes Lächeln auf’s Gesicht. Ja, früher, wenn es den Christopher-Street-Day bei uns auch schon gegeben hätte, stell‘ Dir mal vor, die beste Ehefrau von allen in so einem Outfit … da geht einem doch das Herz auf, und nicht nur das …
Die Ernüchterung kam dann auf der U-Bahn-Fahrt zurück zum Hauptbahnhof. Fast jeder hielt sich an die Maskenpflicht in der U-Bahn, aber kaum einer von den Leuten die vom Christopher-Street-Day kamen. Vor allem die Lesben nicht, die sich in der U-Bahn gegenseitig den Schritt massierten. Was mich auch überhaupt nicht weiter stört, ich war ja auch mal jung, und man muß schließlich nicht hinsehen wenn man mit sich hadert daß man sich das selbst nie getraut hat.
Aber als Lesbe erst auf einer Kundgebung von der Gesellschaft Achtung und Toleranz einzufordern und anschließend ganz unbekümmert die selbstverständlichen Spielregeln des Zusammenlebens mißachten – das ist schon etwas paradox. Und so beschäftigt den Verfasser dieser Zeilen, wie übrigens auch den japanischen Premierminister, anlässlich des Christopher-Street-Days die elementare Frage: Wäre die Geschichte wirklich völlig anders gelaufen, wenn Lehman Brothers nicht als Lehman Brothers, sondern als Lehman Sisters firmiert hätte?
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