So weit so gut, aber …

Gestern an dieser Stelle hatte es sich der Verfasser dieser Zeilen nicht verkneifen können, den Redaktierenden des „Handelsblatt“ mit väterlich erhobenem Zeigefinger etwas über Zinsentwicklung und Finanzkrisen zu erzählen und die jungen Menschen am Ende aufzufordern: Ruhe bewahren!

Das ist meine offizielle Version. Die inoffizielle Version lautet: Der Schein trügt. Kann gut sein dass wir deutlich tiefer in der Scheisse sitzen als es jedenfalls noch im Augenblick den Anschein hat.

In seinem Leben hatte der Verfasser dieser Zeilen ja schon so einiges gemacht, nur von Immobilien im Allgemeinen und Gewerbeimmobilien im Besonderen, davon hatte er nun wirklich keinen Schimmer. Bis ihn vor über zehn Jahren das Thema „abwickelnde Offene Immobilienfonds“ nolens volens ziemlich tief in die Materie reinzog. Dieses Studium ist jetzt sozusagen abgeschlossen, denn: Inzwischen hatte der Verfasser dieser Zeilen das Vergnügen, einen kompletten Zyklus am Immobilienmarkt mitzuerleben. Heulen und Zähneklappern ab 2008 nach der letzten Finanzkrise, die mühselige Bodenbildung, eine von beständig sinkenden Zinsen befeuerte fast ein Jahrzehnt andauernde Phase neuer Euphorie, zuletzt dann die Erkenntnis dass wir den Peak in diesem Zyklus spätestens letztes Jahr gesehen hatten. Jetzt also wieder von vorne.

Steigende Zinsen bringen Immobilienpreise unter Druck, darüber herrscht bestimmt kein Dissens. Nicht nur wer seine Bestände in den letzten Jahren immer schön nach IFRS bewertet und damit Scheingewinne auf dem Papier produziert hat, der hat jetzt ein Problem. Nicht jeder kann das aussitzen. Mancher wird verkaufen müssen. Das bringt die Preise noch weiter unter Druck. Und außerdem schaffen fallende Preise Probleme bei den Beleihungsgrenzen. Das führt dann zu weiteren Zwangsverkäufen und in eine Abwärtsspirale … sollte Ihnen klar sein, ist mir klar, und worüber reden wir auch überhaupt, nachdem ich den Handelsblatt-Redakteuren doch gerade erst gestern lapidar-altklug erklärt hatte: „Das nennt man einen Zyklus.“

Ich befürchte aber, dass nicht alle Immobilienunternehmen und alle Immobilienfinanzierer das Unheil rechtzeitig kommen sahen. Ich befürchte also, den ein oder anderen wird es ziemlich auf dem falschen Fuß erwischt haben. Und die Probleme werden erst nach und nach an die Oberfläche kochen, denn eigentlich hat jedermann ein Interesse daran, seine Probleme so lange wie möglich unter der Decke zu halten.

Ich kenne nur einen einzigen, der über das, was sich da gerade zusammenbraut, in schonungsloser Offenheit redet: Die Banque Nationale de Belgique S.A. Die sich diese Offenheit aber auch nur leisten kann, weil eine Notenbank ex definitione nicht pleite gehen kann. Sie macht das Geld schließlich selber. Als „normale“ Bank hätte sie sich mit ihrem statement von letzter Woche selber den Fangschuß gegeben.

Der am Gewerbeimmobilienmarkt mögliche Rücksetzer ist nämlich nur die eine Seite der Medaille. Die andere ist nicht nur der Zinsanstieg selbst, sondern vor allem seine Geschwindigkeit, für die es in der Finanzgeschichte eigentlich kein Beispiel gibt. Das erste prominente Opfer dieser Besonderheit war die Silicon Valley Bank. Sie ist damit aber nicht allein, wie die geneigte Leserschaft am Karfreitag am Beispiel der Banque Nationale de Belgique S.A. lernen wird.  Und gerade erst hat ein kluger Mensch ausgerechnet, daß alles Eigenkapital im US-Bankensystem aufgezehrt wäre, wenn die Banken ihre Anleihenbestände zu (inzwischen niedrigeren) Marktpreisen bewerten müssten.

Dass Sie mich jetzt nicht mißverstehen: Das macht eigentlich nichts. Jahrelang haben sich die Staaten dieser Welt zu eigentlich viel zu niedrigen Zinsen verschulden können, und die Zeche für dieses Über-die-Verhältniss-Leben zahlt am Ende natürlich wer. Insgesamt aber sind die Volkswirtschaften ein geschlossenes System, in dem das Geld nur hin- und herwabert. Das einzige, was den Wohlstand tatsächlich mindert, sind Kriege und Naturkatastrophen. Alles andere, nämlich Steuergesetze, Bankenzusammenbrüche, Staatspleiten oder Banküberfälle, ist reine Umverteilung, die nur nicht in jedem Fall auf breite Akzeptanz in der Gesellschaft stößt. Das Wort „Krise“ aber dürfen bei diesen teilweise durchaus disruptiven Umverteilungsprozessen nur Angsthasen in den Mund nehmen.

Wir haben bisher noch jede sogenannte „Krise“ überlebt. Allerdings nie die richtigen Konsequenzen gezogen. Man stelle sich bitte vor, die Banque Nationale de Belgique S.A., die die gleichen Schwierigkeiten hat wie die Silicon Valley Bank, eine ausgewachsene Nationalbank eines souveränen Staates, hat ihre Bilanzsumme schon gewaltig aufgebläht, ist aber trotzdem nur wenig größer als es die Silicon Valley Bank war. Letztere aber galt dem US-Gesetzgeber unter Donald Trump als zu klein, um sie überhaupt besonders zu regulieren. Dieses maßlos überdimensionierte Finanzsystem, das in weiten Teilen nur noch dem Selbstzweck des Sich-gegenseitig-Bescheissens dient, gehört mit dem Vorschlaghammer zertrümmert – was sich aber kaum jemand auszusprechen traut.

Der Verfasser dieser Zeilen macht sich trotzdem keine Sorgen. Menschen seines Alters haben nicht mehr die Aufgabe, die Welt zu retten. Sie können die ganze Kohle auch ganz einfach verjucken. Das traute Heim oder die beste Ehefrau von allen verschönern, Kreuzfahrten, Puffbrause – je weniger der alte Sack am Ende noch übrig hat, desto weniger kann er im nächsten Crash verlieren.

In diesen trüben Zeiten ist Sarkasmus für den ein oder anderen die letzte Rettung. Fröhliche Ostern!

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