Wenn meine Mutter das geahnt hätte …
Heute ist Vatertag. Doch im Gegensatz zu normalen Männern, die mit einer Handkarre und leckerem Pils durch die Feldmark ziehen (wie der Verfasser dieser Zeilen fahrradfahrender Weise auf dem Weg zur Arbeit beobachten durfte) sitzt der Blödmann auch heute im Büro. Und hat mal wieder das unstillbare Bedürfnis, den sogenannten Fortschritt auf’s Korn zu nehmen.
Besagter Blödmann wird den meisten unserer verehrten Leser/innen unter dem Namen „Jörg Benecke“ bekannt sein. Zwar glaubte der Verfasser dieser Zeilen jahrzehntelang selbst, dass er so heiße, aber es ist eben nicht die ganze Wahrheit.
Die aus Ostpreußen stammende Mutter besagten Verfassers hatte zwei ältere Brüder, Helmuth und Arno. Beide kehrten aus dem 2. Weltkrieg nicht zurück und sind wahrscheinlich vor Stalingrad gefallen. Zu ihrem Andenken erhielt ich 1955 den Namen „Helmuth Arno Jörg Benecke“, mit „Jörg“ als Rufnamen.
Länger als ein halbes Jahrhundert lang ging das auch gut und niemand stolperte über meine zusätzlichen Vornamen. Der Rufname war in den Personaldokumenten schließlich durch Unterstreichung als solcher gekennzeichnet. Dann aber kam der Fortschritt, und der kann auf solche Feinheiten keine Rücksicht mehr nehmen. Der Fortschritt ersann zum Beispiel den maschinenlesbaren Ausweis, und immer mehr Leute die sich für berufen hielten fingen an, von „Künstlicher Intelligenz“ zu faseln. Das Unheil nahm seinen Lauf.
Schon vor vielen Jahren bemerkte der kleine Jörg, dass es bei der Einreise in die USA vollkommen kontraproduktiv ist, dem Einreisebeamten bedeuten zu wollen, vor ihm stünde der „Jörg“, und nicht, wie er ihn anredete, der „Helmuth“. Das Insistieren auf so belanglosen Feinheiten des deutschen Personenstandsrechts kann eine Einreise in die Vereinigten Staaten von Amerika durchaus deutlich verzögern.
Dazu kommt, dass es dem Durchschnittsamerikaner nach aller Erfahrung unmöglich ist, den Namen „Jörg“ überhaupt auszusprechen. In unserem von einer Rentnergang betriebenen Lieblings-Frühstücks-Strandcafe in Florida zum Beispiel fielen uns immer wieder 80-jährige Bedienungen auf, die wie Möwen orkkk, orkkk krächzend mit einem Teller durch das Lokal irrten. Erst später begriff ich, dass die nette alte Dame lediglich bemüht war, dem auf dem Bestellzettel vermerkten „Jörg“ sein Frühstück auszuliefern. Schon vor über 10 Jahren gewöhnte sich der Verfasser dieser Zeilen deshalb an, in den USA nur noch als „Adam“ aufzutreten, wenn irgendwo im Verlaufe eines Dienstleistungsvorgangs die Repetierung seines Namens durch das Servicepersonal zu gegenwärtigen war.
Immer mehr Maschinen lesen unsere Ausweise. Ich habe mir inzwischen auch abgewöhnt, eine Kreuzfahrt unter meinem richtigen Namen zu buchen. Denn spätestens beim Einchecken auf dem Schiff liest irgendeine Maschine meinen Ausweis und verwehrt dem Helmuth den Antritt einer Reise, die ja nach Kenntnis des Computers der Jörg gebucht hatte. Man gewöhnt sich im Verlauf einer siebenwöchigen Kreuzfahrt, wie ich sie mir zu Beginn des Jahres gegönnt hatte, schon daran, den allabendlichen Gin Tonic mit einem strahlenden „To your health, Sir Helmuth“ serviert zu bekommen. Denn das ist halt die Information, die der nette philippinische Kellner an der Kasse vom maschinenlesbaren Bordausweis erhält. Er kann am wenigsten dafür, dass der sogenannte Fortschritt den einen oder anderen Menschen aus Versehen seine Identität verlieren lässt.
Nach der Kreuzfahrt wieder zu Hause angekommen fand sich der Verfasser dieser Zeilen als „Helmuth Benecke“ unter seiner Privatanschrift angeschrieben von der Creditreform Boniversum GmbH. Man habe über ihn Daten gespeichert. Das in der Mittteilung enthaltene Angebot, die gespeicherten Daten zu erfahren, nutzte der Verfasser dieser Zeilen gern – und erkundigte sich gleichzeitig, was Creditreform Boniversum denn zu dem an gleicher Anschrift domizilierenden „Jörg Benecke“ gespeichert habe. Besagter Jörg erhielt dann ebenfalls die über ihn gespeicherte Auskunft von Creditreform Boniversum. Der Fortschritt und maschinenlesbare Ausweise haben es inzwischen also tatsächlich geschafft, dass ich nicht mehr nur eine Person bin, sondern zwei.
Wenn die verehrten Leser/innen nun glauben, das sei lustig, dann verkennen sie die Realität. Lustig mag das vielleicht für jemanden sein, der Hartz IV bezieht. Käme ich jemals in die Lage, das zu müssen, dann könnte ich die Leistungen nämlich auf Grund der immanenten Konstruktionsfehler künstlicher Intelligenz mit Leichtigkeit doppelt kassieren – schließlich ist dem Computer nicht nur ein „Jörg Benecke“ bekannt, sondern auch ein „Helmuth Benecke“.
Gehört man aber, wie der Verfasser dieser Zeilen, zu den nicht transferleistungsabhängigen Erwerbsschaffenden, dann hört der Spaß schnell auf. Jedenfalls dann, wenn man als Gesellschafter einer GmbH oder Aktionär einer AG die neuerdings bestehenden Meldepflichten beim Transparenzregister zu erfüllen hat. Der Verfasser dieser Zeilen hat das natürlich – als „Jörg Benecke“, für den er sich selbst seit über 66 Jahren hält.
Personalausweise werden aber nicht nur von Maschinen gelesen, auch jede Bank besteht im Rahmen einer Geschäftsverbindung darauf, eine Kopie zu erhalten. Und auf Grund einer Verdachtsmeldung einer unserer Banken geriet der Verfasser dieser Zeilen nun in’s Fadenkreuz der Ermittler. Gerade erst letzte Woche setzte man ihn von der Eröffnung eines entsprechenden Verfahrens in Kenntnis: Anscheinend versuche ein „Helmuth Benecke“ seine tatsächliche Identität zu verschleiern, indem er sich als „Jörg Benecke“ ausgebe. Halten Sie für einen Scherz? Leider nein. Es ist die bittere Wahrheit. Gott bewahre uns vor den Maschinen …
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