Zins-Stress
Seit fast 40 Jahren ist der Verfasser dieser Zeilen Abonnent des „Handelsblatt“. Aber keiner der Namen, mit denen die entsprechenden Beiträge in der heutigen Ausgabe des Wirtschaftsblattes gekennzeichnet sind, sagt ihm etwas. Ein untrügliches Zeichen, dass der Verfasser dieser Zeilen alt wird und ihm wohlbekannte Namen unter den Handelsblatt-Redakteuren schlicht und ergreifend deswegen nicht mehr begegnen, weil dieselben längst im verdienten Ruhestand sind.
Genüsslich an seinem Kaffee schlürfend (was geschmacklich den schon etwas verwelkten Aufschnitt von letzter Woche hinreichend überlagerte) machte er heute morgen bei Lektüre des „Handelsblatt“ eine interessante Beobachtung: Was da mehr als ein halbes Dutzend offenbar noch junge Redakteur/innen (oder gibt es inzwischen wohl den Begriff „Redaktierende“?) zu Papier gebracht hatten, strahlte eine auffällige Aufgeregtheit aus, die sich der Verfasser dieser Zeilen zunächst gar nicht erklären konnte. „Sorge um US-Banken wächst“, „Zins-Stress am Häusermarkt“, „Am deutschen Immobilienmarkt drohen Notverkäufe und Privatinsolvenzen“, „Geschäft mit Baukrediten bricht ein“, das sind die Schlagzeilen der ersten Seiten im heutigen „Handelsblatt“. Ehe es auf Seite 6 endlich wieder in die Niederungen des alltäglichen Lebens geht: „Anklage gegen Ex-US-Präsidenten: Gefängnis oder Weißes Haus?“
Die Zinsen 10-jähriger Hypotheken sind, wie man der entsprechenden Grafik im heutigen „Handelsblatt“ entnehmen kann, von 0,75 % Anfang 2021 inzwischen auf 3,77 % p.a. gestiegen. Der Verfasser dieser Zeilen sieht da eigentlich keinen Grund, in Panik zu verfallen. Als er 1977/78 seine erste Eigentumswohnung kaufte und finanzierte, hatte er das unverschämte Glück, in einem absoluten Zinstal zu landen und „nur“ etwas über 6 % p.a. für eine 10-jährige Hypothek zu zahlen. Kurz davor 1973/74 und kurz danach 1980/81 betrugen die Effektivzinsen für Hauskäufer jeweils 11,5 % p.a. Dennoch ist nicht überliefert, dass mehr als eine verschwindend geringe Minderheit der Häuslebauer der 1980er Jahre aus der Not geboren in Zelten im Stadtpark campieren musste, weil sie sich die Hütte ihrer Träume nicht mehr leisten konnte.
Es dauerte ein bißchen, bis der Verfasser dieser Zeilen endlich begriff, warum die jungen Handelsblatt-Redakteure heute verbal herumflatterten wie ein aufgescheuchter Hühnerhaufen. Sie sind ja ausschließlich geprägt von den Erfahrungen nach der Jahrtausendwende (als die Hypothekenzinsen zum ersten Mal in der Nachkriegszeit überhaupt unter 6 % p.a. zu liegen kamen und schließlich bis fast Null fielen). Sie sind, ohne das geringste dafür zu können, Kinder des Geistes der unseligen Immer-nur-aufwärts-Oekonomie. Eines (Zeit)Geistes, der inzwischen eine Generation lang erheblichen Teilen der Gesellschaft eine vollkommen absurde Wirtschafts- und Kapitalmarktfixierung beschert hat, als ob das ganze Glück des Lebens davon abhinge.
So möchte der Verfasser dieser Zeilen den aufgeregten jungen Handelsblatt-Redakteuren zurufen: Ruhe bewahren! Es geht nicht immer nur aufwärts. Was Ihr da gerade erlebt, nennt man „Zyklus“. Davon stirbt man nicht. Und selbst der Zusammenbruch mehrerer Banken wäre kein Drama. Das Geld ist ja nicht weg. Es fand lediglich eine Umverteilung statt, deren Spielregeln anders waren als es sich der ein oder andere Akteur zuvor gedacht hatte. Spätestens seit der Übernahme der Credit Suisse durch die UBS dürfte auch jedem in Wirtschaftsfragen nicht so versierten Leser einleuchten, wie ich das meine.
Lasset Euch also vom Rübenfeld den ultimativen Trost spenden: Die Welt geht nicht unter. Sie arbeitet nur gerade an der Erschaffung interessanter neuer Möglichkeiten.
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