Ein neuer Finanzgigant entsteht (Epilog)

Ich schulde der geschätzten Leserschaft noch die am Schluß des Beitrags vom 1. April angekündigte Erklärung zur Banque Nationale de Belgique S.A. Wie eine Bombe schlug am Donnerstag Abend letzter Woche die Veröffentlichung der 2022er Resultate der Bank ein. Ein Verlust von 580 Mio. Euro, die Dividende (abgesehen von satzungsgemäßen 6 % auf die 25-Euro-Aktie) fällt aus. Das war erwartet worden. Nicht erwartet war aber, was die Bank in einerseits bewundernswerter, andererseits aber auch tief erschreckender Offenheit ankündigte: Unveränderte Bilanzstrukturen und ein Eintreten des erwarteten Zinsentwicklungsszenarios unterstellt dürften sich in den nächsten fünf Jahren weitere Verluste von 10,8 Milliarden Euro anhäufen.

Einerseits lasten riesige Pakete niedrig verzinslicher Anleihen auf der Bilanz, andererseits muß die Bank immer höhere Einlagenzinsen zahlen. Das zehrt nicht nur das Eigenkapital der Bank und alle in der 173-jährigen Geschichte aufgebauten Reserven vollständig auf, sondern dreht das Eigenkapital zudem noch mit rd. 4 Milliarden Euro in’s Negative. Nun ist ein negatives Eigenkapital für eine Zentralbank für sich genommen absolut kein Problem: Sie macht das Geld schließlich selber und kann deshalb ex definitione nicht pleite gehen.

Aber dass diese Scharte ausgewetzt ist und wieder eine anständige Dividendenausschüttung möglich werden wird, das wird der Verfassers dieser Zeilen mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht mehr erleben. Auch wenn die Bank erwartet, nach fünf Jahren wieder profitabel zu arbeiten: Bevor überhaupt wieder an eine Dividende zu denken ist, muß dann erst einmal das negative Eigenkapital abgearbeitet werden. Also werden sich die Folgen der riesigen Anleihenankaufsprogramme und der dann einsetzende abrupte Zinsanstieg wohl noch die nächsten 15, 20 Jahre in künftige BNB-Bilanzen hineinfressen. Es war deshalb schlechthin alternativlos, sich von den über Jahre lieb gewonnenen Aktien der Banque Nationale de Belgique S.A. zu trennen – auch wenn eine Börsenbewertung von kaum 240 Mio. Euro weiterhin lächerlich erscheinen mag.

Und in einer ziemlich schlaflosen Nacht ging dem Verfasser dieser Zeilen erstmals der Gedanke durch den Kopf: Leute wie Peter Gauweiler, die schon vor Jahren gegen die Staatsanleihenankaufsprogramme klagten, könnten am Ende vielleicht klüger und weitsichtiger gewesen sein als er selbst.

Ehrbarer Kaufmann versus Winterkörner

Der Verfasser dieser Zeilen dankt der geneigten Leserschaft für dutzende in der Mehrzahl sehr aufschlußreiche Kommentare zu seinem Beitrag vom 1. April („Ein neuer Finanzgigant entsteht“). Sein besonderer Dank geht an unseren Aktionär C. S. aus H. sowie Prof. Dr. R. in B. für die unmittelbare Zusendung zweier Pülleken resp. eines Kistchens Puffbrause.

Nicht zufällig erschien der Beitrag am 1. April. Die verehrten Damen und Herren Aktionäre können also versichert sein, dass der Verfasser dieser Zeilen und Vorstand der CS Realwerte Aktiengesellschaft in Wirklichkeit nicht die Absicht hat, eine Mauer zu bauen, … ääh … die CS Realwerte Aktiengesellschaft zum zweitgrößten Aktionär der ehrwürdige 173 Jahre alten Banque Nationale de Belgique S.A. und in der Folge durch simple Hebelmechanik der Rechnungslegung zu einem Finanzgiganten zu machen. Die bitterböse kleine Satire sollte lediglich am Beispiel eines besonders krassen Extremfalls zeigen, was IFRS in Wirklichkeit ist: Nichts weiter als ein Durchlauferhitzer zur Erzeugung von heißer Luft.

Als dem Verfasser dieser Zeilen im letzten Jahrhundert in der Abendschule die altmodische Art der Buchführung und Bilanzierung beigebracht wurde, galt noch das Niederstwertprinzip. Die Anschaffungskosten waren stets die obere Grenze für die Bilanzierung eines Vermögenswertes – nur für ggf. niedrigere Bewertungen spielten Marktwerte überhaupt eine Rolle. Beim strengen Niederstwertprinzip nannte man es das Imparitätsprinzip: Nicht realisierte Verluste waren auszuweisen, nicht realisierte Gewinne dagegen nicht.

Damit sind wir jahrzehntelang gut gefahren, und auch das deutsche Nachkriegs-Wirtschaftswunder fand statt, obwohl Börsentermingeschäfte oder gar Leerverkäufe zu der Zeit noch bei Strafe verboten waren. Bis ab Anfang der 1990er Jahre ein paar ausgemachte Schwachköpfe unter geistiger Führung der Dame Thatcher auf die Idee kamen, die Finanzmärkte und in der Folge auch die Rechnungslegungsvorschriften müssten „liberalisiert“ werden. Was uns das gebracht hat, sehen wir mit jeder über uns hereinbrechenden Krise auf’s Neue. Die zombiemäßige Wiederauferstehung finanzgeschichtlich Untoter wie Leerverkäufer beispielsweise.

Das wirklich Fatale an der ganzen eigentlich nur satirisch gemeinten Geschichte ist: Früher wäre das so ganz bestimmt nicht gegangen. Aber heute? Den im Beitrag vom 1. April skizzierten Plan zur Erschaffung eines Finanzgiganten in die Tat umzusetzen wäre völlig legal, und der Verfasser dieser Zeilen könnte es tatsächlich mit wenigen Federstrichen tun. Die Bestätigung lieferte ganz ungeplant das „Handelsblatt“ am 5.4. (siehe unser Beitrag „Und gleich der nächste Finanzgigant“ zur Credit-Suisse-Übernahme durch die UBS). Also möchte besagter Verfasser lieber gar nicht wissen, wie viele Bilanzen auf Gottes Erdboden inzwischen bereits nach diesem Strickmuster als potemkinsche Dörfer zusammengezimmert sind. Ich sage nur „immaterielle Vermögensgegenstände“ oder „Goodwill“, also die Bilanzierung von real gar nicht existierendem Phantomvermögen. Nur weil da irgendwelche Bilanzakrobaten hinter irgendeiner dunklen Ecke einen Marktwert zu erkennen glauben.

Sollten Sie, verehrte Leserinnen und Leser, also bei irgendeiner Kapitalanlage (es muß ja gar nicht Wirecard gewesen sein) schon mal in’s Klo gefasst haben, so habe ich für Sie die zugegebener Maßen wenig tröstliche ultimative Weisheit vom Rübenfeld: Das Geld ist nicht weg. Es hat nur wer anders. Oder, zweite Variante nach IFRS: Es war in Wirklichkeit nie da.

Ich hätte wirklich so gerne bei den Vorständen dieser Republik den von keinerlei Erwartung unappetitlich hoher Boni geplagten ehrbaren Kaufmann zurück. Von dem nicht ständig verlangt wird, vor allem über „Wertsteigerung“ für die Anteilseigner nachzugrübeln. Die geht nämlich bei verständiger Betrachtung der Gesamtzusammenhänge gemeinhin auf Kosten der Menschen in Entwicklungs- und Schwellenländern, der Beschäftigten hier bei uns, der Kunden und wenn’s am Ende schief geht der Allgemeinheit.

Aber die Winterkörner dieser Welt dürfen selbst dann den größten Teil ihrer unanständigen Boni behalten. Und zu allem Überfluß auch noch auf verhandlungsunfähig machen, wenn sie sich der Verantwortung stellen sollen. In längst vergangenen Zeiten wäre einem da unter Umständen ein „vaterlandslose Gesellen“ über die Lippen gerutscht. Womit sich der Kreis zu den Leerverkäufern unserer Tage dann auch wieder geschlossen hätte.  Alles Leute, die ganz unbelastet von irgendeiner Moral nur ihren eigenen Vorteil auf Kosten vom Rest der Menschheit im Auge haben. Deren gesamtwirtschaftlicher Nutzen aber exakt so groß ist als wie wenn jemand auf dem Mond Zigarettenstummel auffegt. Denken Sie mal drüber nach …

Und gleich der nächste Finanzgigant

„Der Schweizer Großbank UBS winkt in diesem Jahr ein Rekordgewinn. Davon gehen Analysten im Gespräch mit dem Handelsblatt aus. Grund dafür ist der niedrige Kaufpreis für die Credit Suisse. Für rund drei Milliarden Dollar erhält die UBS Zugriff auf das Eigenkapital des einstigen Konkurrenten. Es belief sich zuletzt auf über 43 Milliarden Dollar. Ein weiterer Vorteil ist der Schuldenerlass in Höhe von 16 Milliarden Dollar. Beide Faktoren blähen Gewinn und Eigenkapital der neuen Megabank auf,“ konnte man heute früh gleich auf der Titelseite des „Handelsblatt“ lesen.

Das kommt Ihnen jetzt irgendwie unheimlich bekannt vor? Jedenfalls wenn Sie am 1.4. hier an gleicher Stelle staunend gelesen hatten, wie sich der Verfasser dieser Zeilen die Teilübernahme der Banque Nationale de Belgique S.A. durch die CS Realwerte Aktiengesellschaft vorstellt, und welche bilanziellen Folgen ein solcher Geniestreich bei der CS hätte?

Aber nicht doch! Sie haben es doch nicht etwa ernsthaft für möglich gehalten, die Bilanzen auf dieser Welt würden seit Einführung von IFRS in Disney-Dollar erstellt … o:)

Ich glaub‘, es geht schon wieder los

Unter dem Titel „Nepper, Schlepper, Bauernfänger“ hatte der Verfasser dieser Zeilen unseren geschätzten Aktionärinnen und Aktionären (oder einfach: Aktionierenden?) vor längerer Zeit schon mal seine Ansicht zu den regelmäßig im Bundesanzeiger auftauchenden Erwerbsangeboten für Aktien der CS Realwerte Aktiengesellschaft mitgeteilt. Man kann’s ja mal versuchen, erfahrungsgemäß steht irgendwo jeden Morgen erneut ein Dummer auf. So funktioniert das Geschäftsmodell dieser Schlaumeier wohl.

Liegt es jetzt daran, daß die CS Realwerte AG auf dem besten Wege ist, sich zu einem Finanzgiganten zu entwickeln? Das Interesse entflammt jedenfalls erneut. Eine Firma „Taunus Capital Management AG“ macht sich gerade per Kaufangebot im elektronischen Bundesanzeiger anheischig, unseren Aktionierenden ihre Aktien zu kümmerlichen 405,00 EUR das Stück abzuhängen. Und die Depotbanken sind leider gesetzlich verpflichtet, unsere Aktionierenden hiervon zudem noch auf eigene Kosten in Kenntnis zu setzen.

Ein todsicheres Geschäft, hält sich doch unser Großaktionär schon seit Jahren verpflichtet, jedem Aktionär der das wünscht seine CS-Aktien zum inneren Wert abzgl. Handlingkosten abzukaufen – was augenblicklich ein runder Tausender pro Aktie wäre. Der Verfasser dieser Zeilen kann also nur hoffen, daß auf diese Bauernfänger auch dieses Mal niemand hereinfällt. Wenngleich er sich insgeheim ja auch irgendwie geschmeichelt fühlt: Der gebotene Preis ist zwar immer noch eine Unverschämtheit, aber schon deutlich höher als beim letzten Versuch.

So weit so gut, aber …

Gestern an dieser Stelle hatte es sich der Verfasser dieser Zeilen nicht verkneifen können, den Redaktierenden des „Handelsblatt“ mit väterlich erhobenem Zeigefinger etwas über Zinsentwicklung und Finanzkrisen zu erzählen und die jungen Menschen am Ende aufzufordern: Ruhe bewahren!

Das ist meine offizielle Version. Die inoffizielle Version lautet: Der Schein trügt. Kann gut sein dass wir deutlich tiefer in der Scheisse sitzen als es jedenfalls noch im Augenblick den Anschein hat.

In seinem Leben hatte der Verfasser dieser Zeilen ja schon so einiges gemacht, nur von Immobilien im Allgemeinen und Gewerbeimmobilien im Besonderen, davon hatte er nun wirklich keinen Schimmer. Bis ihn vor über zehn Jahren das Thema „abwickelnde Offene Immobilienfonds“ nolens volens ziemlich tief in die Materie reinzog. Dieses Studium ist jetzt sozusagen abgeschlossen, denn: Inzwischen hatte der Verfasser dieser Zeilen das Vergnügen, einen kompletten Zyklus am Immobilienmarkt mitzuerleben. Heulen und Zähneklappern ab 2008 nach der letzten Finanzkrise, die mühselige Bodenbildung, eine von beständig sinkenden Zinsen befeuerte fast ein Jahrzehnt andauernde Phase neuer Euphorie, zuletzt dann die Erkenntnis dass wir den Peak in diesem Zyklus spätestens letztes Jahr gesehen hatten. Jetzt also wieder von vorne.

Steigende Zinsen bringen Immobilienpreise unter Druck, darüber herrscht bestimmt kein Dissens. Nicht nur wer seine Bestände in den letzten Jahren immer schön nach IFRS bewertet und damit Scheingewinne auf dem Papier produziert hat, der hat jetzt ein Problem. Nicht jeder kann das aussitzen. Mancher wird verkaufen müssen. Das bringt die Preise noch weiter unter Druck. Und außerdem schaffen fallende Preise Probleme bei den Beleihungsgrenzen. Das führt dann zu weiteren Zwangsverkäufen und in eine Abwärtsspirale … sollte Ihnen klar sein, ist mir klar, und worüber reden wir auch überhaupt, nachdem ich den Handelsblatt-Redakteuren doch gerade erst gestern lapidar-altklug erklärt hatte: „Das nennt man einen Zyklus.“

Ich befürchte aber, dass nicht alle Immobilienunternehmen und alle Immobilienfinanzierer das Unheil rechtzeitig kommen sahen. Ich befürchte also, den ein oder anderen wird es ziemlich auf dem falschen Fuß erwischt haben. Und die Probleme werden erst nach und nach an die Oberfläche kochen, denn eigentlich hat jedermann ein Interesse daran, seine Probleme so lange wie möglich unter der Decke zu halten.

Ich kenne nur einen einzigen, der über das, was sich da gerade zusammenbraut, in schonungsloser Offenheit redet: Die Banque Nationale de Belgique S.A. Die sich diese Offenheit aber auch nur leisten kann, weil eine Notenbank ex definitione nicht pleite gehen kann. Sie macht das Geld schließlich selber. Als „normale“ Bank hätte sie sich mit ihrem statement von letzter Woche selber den Fangschuß gegeben.

Der am Gewerbeimmobilienmarkt mögliche Rücksetzer ist nämlich nur die eine Seite der Medaille. Die andere ist nicht nur der Zinsanstieg selbst, sondern vor allem seine Geschwindigkeit, für die es in der Finanzgeschichte eigentlich kein Beispiel gibt. Das erste prominente Opfer dieser Besonderheit war die Silicon Valley Bank. Sie ist damit aber nicht allein, wie die geneigte Leserschaft am Karfreitag am Beispiel der Banque Nationale de Belgique S.A. lernen wird.  Und gerade erst hat ein kluger Mensch ausgerechnet, daß alles Eigenkapital im US-Bankensystem aufgezehrt wäre, wenn die Banken ihre Anleihenbestände zu (inzwischen niedrigeren) Marktpreisen bewerten müssten.

Dass Sie mich jetzt nicht mißverstehen: Das macht eigentlich nichts. Jahrelang haben sich die Staaten dieser Welt zu eigentlich viel zu niedrigen Zinsen verschulden können, und die Zeche für dieses Über-die-Verhältniss-Leben zahlt am Ende natürlich wer. Insgesamt aber sind die Volkswirtschaften ein geschlossenes System, in dem das Geld nur hin- und herwabert. Das einzige, was den Wohlstand tatsächlich mindert, sind Kriege und Naturkatastrophen. Alles andere, nämlich Steuergesetze, Bankenzusammenbrüche, Staatspleiten oder Banküberfälle, ist reine Umverteilung, die nur nicht in jedem Fall auf breite Akzeptanz in der Gesellschaft stößt. Das Wort „Krise“ aber dürfen bei diesen teilweise durchaus disruptiven Umverteilungsprozessen nur Angsthasen in den Mund nehmen.

Wir haben bisher noch jede sogenannte „Krise“ überlebt. Allerdings nie die richtigen Konsequenzen gezogen. Man stelle sich bitte vor, die Banque Nationale de Belgique S.A., die die gleichen Schwierigkeiten hat wie die Silicon Valley Bank, eine ausgewachsene Nationalbank eines souveränen Staates, hat ihre Bilanzsumme schon gewaltig aufgebläht, ist aber trotzdem nur wenig größer als es die Silicon Valley Bank war. Letztere aber galt dem US-Gesetzgeber unter Donald Trump als zu klein, um sie überhaupt besonders zu regulieren. Dieses maßlos überdimensionierte Finanzsystem, das in weiten Teilen nur noch dem Selbstzweck des Sich-gegenseitig-Bescheissens dient, gehört mit dem Vorschlaghammer zertrümmert – was sich aber kaum jemand auszusprechen traut.

Der Verfasser dieser Zeilen macht sich trotzdem keine Sorgen. Menschen seines Alters haben nicht mehr die Aufgabe, die Welt zu retten. Sie können die ganze Kohle auch ganz einfach verjucken. Das traute Heim oder die beste Ehefrau von allen verschönern, Kreuzfahrten, Puffbrause – je weniger der alte Sack am Ende noch übrig hat, desto weniger kann er im nächsten Crash verlieren.

In diesen trüben Zeiten ist Sarkasmus für den ein oder anderen die letzte Rettung. Fröhliche Ostern!

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