Verwundbare Schönheit

Regelmäßig nehmen die Auslandskorrespondenten des „Handelsblatt“ die Wirtschaft ihrer Gastländer in’s Visier. Ganz gelegentlich kann sich der unbefangene Leser dabei nicht des Eindrucks erwecken, besagte Korrespondenten wären der Meinung, ihre Gastländer sollten sich doch gefälligst an einem pickligen Streber und Klassenbesten wie Deutschland ein Beispiel nehmen. Darauf werden wir dann noch zurückzukommen haben.

Gestern war also unter obiger Überschrift „Verwundbare Schönheit“ Spanien dran, und die dortige Korrespondentin Sandra Louven beschrieb unter Zuhilfenahme umfangreicher Statistiken, warum man sich um Spanien schon ein paar Sorgen machen müsse.

Fangen wir bei ihren Argumenten ruhig einmal von hinten an, nämlich bei der überraschenden Feststellung: „Dabei ist das Land gerade für die digitale Wirtschaft bestens ausgerüstet. Spanien hat eines der schnellsten und am weitesten ausgebauten Glasfasernetze in Europa.“ Aha. Wenn man das tollste Glasfasernetz hat, aber wirtschaftlich trotzdem hinten liegt, heißt das ja im Umkehrschluß: Sooo wichtig, wie uns das in unserem Lande die Fortschrittsfanatiker weiß machen wollen, ist ein toll ausgebautes Glasfasernetz scheinbar doch nicht. Darüber sollten diejenigen Damen und Herren, die in Deutschland am liebsten gleich morgen jede noch so kleine Straße aufgebuddelt sehen wollen, gern einmal nachdenken.

Schnell hat Sandra Louven dann auch einen Grund für den ihrer Ansicht nach unzulänglichen Zustand der spanischen Wirtschaft entdeckt: „27 % der spanischen Angestellten haben nur einen Zeitarbeitsvertrag. Der läuft im Schnitt gerade einmal über einen Monat. Der IWF sieht darin das Haupthindernis, um die Produktivität der Arbeitskräfte zu steigern. Denn Arbeitgeber investieren kaum in die Weiterbildung von Mitarbeitern, die nur kurz im Unternehmen sind.“

Der Historiker mit philosophischen Anwandlungen fragt sich an der Stelle, ob es denn das Hauptaugenmerk menschlichen Sinnens und Trachtens sein kann und darf, die Produktivität der Arbeitskräfte zu steigern. Wem nützt das denn? Vor allem ja dem Boss, dessen Bonus dann noch weiter steigt. Die einfachen Menschen, das wird uns am Beispiel Spaniens hier ja gerade wunderbar vorgerechnet, haben von diesem ökonomischen Firlefanz nichts. Es muß an der Stelle durchaus die Frage erlaubt sein, ob der Aufstieg populistischer Parteien nicht auch damit zu tun hat, daß die wirtschaftlichen Eliten in dieser Welt völlig die Bodenhaftung verloren haben. Daß sie glauben, sie könnten ohne Rücksicht auf gesellschaftliche Belange tun, was sie wollten, wenn es denn nur den eigenen Wohlstand mehrt. Der Cum-Ex-Skandal oder der Diesel-Skandal sind eindrucksvolle Beispiele, wie sehr die Moral in der Welt der Banker und Bosse inzwischen verkommen ist.

Nebenbei kann ich mir auch den kleinen Seitenhieb nicht verkneifen: Gerade die Wirtschaftspresse, die hier in Person von Frau Louven prekäre Beschäftigungsverhältnisse als Hemmschuh für wachsenden Wohlstand ausmacht, ist nach meinem Kenntnisstand in den vergangenen Jahren nicht gerade dadurch aufgefallen, daß sie ihre Redakteure mit üppig dotierten Festanstellungsverträgen verwöhnt. Darüber könnte ja speziell Herr von Holtzbrinck gern einmal nachdenken, ehe er in seinen Publikationen solche einfach nicht zu Ende gedachten Analysen veröffentlichen lässt.

Solche Analysen wie „Doch auch in der Produktivität schwächelt Spanien. Während in Deutschland eine Stunde Arbeit 74 Dollar an Wirtschaftsleistung schafft, sind es in Spanien nur 56 Dollar.“     Nicht unerwähnt soll an dieser Stelle bleiben, daß ich dem „Handelsblatt“ für die mitgelieferten Statistiken dennoch ausgesprochen dankbar bin. Denn Zahlen lügen nicht und öffnen auch einem vergleichsweise alten Menschen wie mir immer noch aufs Neue die Augen für unerwartete Tatsachen.

Besagte Statistik über das „Bruttoinlandsprodukt je Arbeitsstunde 2018 in US-Dollar Kaufkraftparität“ führt als unangefochtenen Spitzenreiter Norwegen mit 84,4 $. Doch schon bei den Plätzen 2 bis 4 kriegte ich große Augen: Deutschland mit 73,7 $, die USA mit 72,0 $ und Frankreich mit 71,6 $ liegen allesamt fast gleichauf. Hätten Sie das gedacht? Ich jedenfalls nicht. Man fragt sich jetzt nur noch, was Donald Trump eigentlich will, wenn er fordert „Make America great again.“ Will er auch noch Norwegen überholen?

Das arme Spanien liegt mit 56,2 $ etwas abgeschlagen, aber das Ende der Statistik ist dort noch lange nicht. Inzwischen faszinierte mich diese Statistik so sehr, daß ich beim Frühstück die Erkenntnis des vorigen Absatzes der besten Ehefrau von allen eröffnete und sie um ihre Einschätzung bat: „Schatz, was glaubst Du, was sind denn in dieser Welt noch wirtschaftlich starke Länder?“ Antwort: „Italien? Vielleicht? Ach so, in der ganzen Welt. Indien. Und China. Ach ja, und Japan, natürlich vor allem Japan.“

Seien Sie ehrlich, liebe Leser, so ähnlich hätten Sie auch antworten können, oder? Doch an diesem Punkt führt der Handelsblatt-Beitrag dann die ganzen zwei Zeitungs-Seiten seiner Argumentation schließlich selbst ad absurdum. In der Statistik der Arbeitsproduktivität liegt Japan, bis heute noch vor Deutschland die drittgrößte Volkswirtschaft der Welt, mit 46,1 $ Bruttoinlandsprodukt je Arbeitsstunde ganz weit abgeschlagen hinter Spanien mit seinen 56,2 $ und auch nur knapp vor Griechenland mit 38,9 $.

Vielleicht liegt der teilweise etwas abfällige Blick auf ökonomisch vermeintlich schwächere Nachbarn einfach nur daran, daß man uns in unserem kapitalistischen und nur auf individuellen Erfolg fixierten System leider angewöhnt hat, in den falschen Kategorien zu denken. Vielleicht ist es entschieden zu kurz gesprungen, Lebensqualität mit überwiegend monetären Maßstäben bewerten zu wollen.

Armes Deutschland

Nach dem vor über 40 Jahren von seinem damaligen Chef bei den Braunschweiger Luther-Werken erlernten Motto „Die Haare wachsen während der Dienstzeit, also dürfen sie auch während der Dienstzeit geschnitten werden“ machte sich der Verfasser dieser Zeilen mit seinem Diesel-Fahrzeug des benachbarten Hütchenspieler-Konzerns heute mittag auf den Weg zum Friseur in Braunschweig. Es wird niemanden interessieren, daß er seit 1977, also inzwischen 42 Jahre lang, von stets der selben Dame die Haare geschnitten kriegt; aber erwähnt sei es, nur der Vollständigkeit wegen, trotzdem.

Auf dem Weg in die Stadt kamen zwei Dinge zu seiner Kenntnis, die ihm die Aufnahme in das „Lexikon des unnützen Wissens“ allemal wert erscheinen und die deshalb zwangsläufig auch unserer geneigten Leserschaft zur Kenntnis gelangen.

An der Theodor-Heuß-Straße (ausgerechnet Theodor Heuß, der würde sich im Grabe umdrehen, wenn er es wüsste) sprangen dem vorbeifahrenden Automobilisten zwei Schlagzeilen auf einem Wahlplakat der Linkspartei in’s Auge:

Rüstungsexporte verbieten – europaweit

Flüchtlinge retten – selbstverständlich (mit Abbildung eines Rettungsrings)

Also, mal mit den Worten eines einfachen Menschens vom Rübenfeld ausgedrückt: Schluß mit der Rumballerei, und die armen Flüchtlinge selbstverständlich aus dem Wasser ziehen. Bemerkenswerte Forderungen für eine Partei, die, als sie noch staatstragend war, mit größter Selbstverständlichkeit auf Flüchtlinge schießen ließ, die versuchten über die Spree nach West-Berlin zu schwimmen. Aber da sind wir auch schon wieder bei dem Punkt: Historiker, die gewohnheitsmäßig die Vergangenheit im Hinterkopf behalten, sind in unserer Gesellschaft eine vernachlässigenswert kleine Restgröße. Auf die kann die Werbeagentur der Linkspartei nun weiß Gott nicht auch noch Rücksicht nehmen.

Der zweite Eintrag im „Lexikon des unnützen Wissens“ sind gewisse Regeln, die in Deutschland jedermann und jederfrau (auch Muslime und Kommunisten) an stillen christlichen Feiertagen zu beachten hat. Verboten ist alles, was das „reiligiöse sittliche Empfinden an stillen christlichen Feiertagen zu verletzen“ geeignet ist. Wir sagen Ihnen das jetzt gerade noch rechtzeitig, denn morgen der Karfreitag ist zum Beispiel so ein Feiertag. Beachten Sie bitte das morgen geltende Tanzverbot. Und sollten Sie die Gewohnheit haben, öffentlich Filme aufzuführen, so denken Sie bitte daran, was Sie morgen nicht zeigen dürfen. Es gibt eine Index-Liste mit 756 Filmen, die an stillen christlichen Feiertagen tabu sind. Daß dazu zum Beispiel „Das Leben des Brian“ gehört, leuchtet noch irgendwie ein. Aber warum auch alle Bud-Spencer-Filme und selbst „Heidi“ auf dieser Liste stehen, wissen wahrscheinlich nicht einmal die Bürokraten, die diese Liste erst im Jahr 2016 wieder auf Kosten des Steuerzahlers verfertigt haben.

Liebe Leute: Es ist unglaublich, was für ein Scheiß in Deutschland von der Bürokratie so alles geregelt wird. Wenn wir den Staat so weitermachen lassen, wird das öffentliche Leben irgendwann vollständig zum Erliegen kommen. Aber wahrscheinlich liegen in irgendeiner Schublade in einer deutschen Amtsstube auch schon fix und fertig die Vorschriften, wie man sich zu verhalten hat, wenn das öffentliche Leben wegen Überregulierung zum Erliegen gekommen ist.

CS Property Dynamic: Überraschung im Osternest

Ende März hatte der CS Property Dynamic den Verkauf seiner letzten Immobilie gemeldet. Das Büroobjekt in Krakau war deutlich schlechter als von uns erwartet weggegangen. Ein schmerzhafter Rückgang des Netto-Inventarwertes (NAV) um 3,75 EUR auf 28,16 EUR war die Folge.

Schon damals hatten wir uns mit der Frage beschäftigt, was mit den objektbezogenen Rückstellungen passieren würde. Im Vergleich zum letzten Verkehrswert des Objektes (44,1 Mio. EUR) waren die Rückstellungen nämlich überaus beachtlich: 3,8 Mio. EUR für Steuern auf Veräußerungsgewinne, 3,6 Mio. EUR für Instandhaltungskosten und 4,5 Mio. EUR für Vermietungskosten. Keine dieser drei Positionen braucht man noch, wenn man kein einziges Objekt mehr hat. Die Meldung des Käufers, bei einem beizulegenden Wert der Immobilie von 37,0 Mio. „nach Verrechnung üblicher Anpassungen in Form von mietfreien Zeiten und zusätzlichen Anreizen für Mieter“ tatsächlich 32,67 Mio. EUR bezahlt zu haben legt wegen der weitgehenden Betragsidentität der Differenz nahe, daß bei diesem Verkauf die Rückstellung für Vermietungskosten mit drauf gegangen ist – sonst hätte der NAV-Rückgang noch deutlicher ausfallen müssen.

Aber der Rest? Wir hatten von Anfang an die Vermutung geäußert, daß es nach dem üblen NAV-Rückgang Ende März später noch gegenläufige Entwicklungen aus der Auflösung von Rückstellungen geben könnte.

Das scheint jetzt, früher als erwartet, bereits der Fall zu sein: Gestern gab es einen Anstieg des NAV um 3,16 % = 0,89 EUR auf 29,03 EUR. Damit ist knapp ein Viertel des Einschnitts von Ende März egalisiert. Multipliziert mit der Anzahl der umlaufenden Anteile ist das eine Werterhöhung von 2,35 Mio. EUR. Eine Verlautbarung der Commerzbank als Verwahrstelle des CS Property Dynamic, worauf genau nun der jüngste NAV-Anstieg zurückzuführen ist, steht aber noch aus. Wahrscheinlich sind die Herrschaften zu sehr mit anderweitigen Ostervorbereitungen zu beschäftigt.

Der analoge Verfasser dieser Zeilen

Anknüpfend an den vorigen Beitrag fanden wir es an der Zeit, daß Sie den Ihnen bisher zumeist nur digital bekannten Verfasser dieser Zeilen auch einmal analog kennenlernen. Die so oft zitierte beste Ehefrau von allen bei der Gelegenheit natürlich auch. Sie sehen uns bei unserer Lieblingsbeschäftigung: Kreuzfahren.

 

 

Dieses Foto entstand übrigens vor ein paar Wochen im Indischen Ozean ziemlich zur gleichen Zeit wie die Idee, bei der CS Realwerte AG zur allseitigen Überraschung noch einmal eine Kapitalerhöhung zu machen. Bei aller sonst geäußerten Kritik an den modernen Zeiten nimmt man ja durchaus dankbar zur Kenntnis, daß moderne Kommunikationstechnik Zeit und Raum heute so zu überwinden vermag, daß Arbeit und Urlaub in einem Tätigkeitsfeld wie dem unsrigen gar kein Widerspruch mehr sind. Das Geschäft der CS Realwerte AG lässt sich heutzutage praktisch von jedem Ort des Universums aus betreiben.

Im Gegensatz zum Verfasser dieser Zeilen ist die beste Ehefrau von allen übrigens sogar in der Lage, solche Fotos gleich von unterwegs in die ganze Welt zu posten. Und sie tat es auch. Was sogleich, sozusagen als Kehrseite der Medaille, das hässliche Gesicht der Möglichkeiten moderner Kommunikation zu Tage treten ließ. Einer der im vorigen Beitrag gerade erst erwähnten uralten Freunde schrieb postwendend zurück: „In welchem Bond-Film hast Du denn da gekellnert?“

Allen unseren verehrten Leserinnen und Lesern wünscht die Familie Benecke ein sonniges, fröhliches Osterfest. Bleiben Sie uns gewogen. (Wir müssen schon mal anfangen, ein bißchen rumzuschleimen, denn auf der diesjährigen Hauptversammlung stehen wieder mal Wahlen zum Aufsichtsrat an.)

Ich muß gleich mal was essen gehen

„Du bist nichts mehr, wenn Du keine digitale Wahrnehmbarkeit hast.“

Diese unangenehme Feststellung schmiß dem Verfasser dieser Zeilen letztes Jahr ein Kollege aus dem Bereich „Historische Wertpapiere“ an den Kopf. Und zwar an den Kopf eines Menschen, der digitale Wahrnehmbarkeit im Grundsatz für eine lebensbedrohliche Infektionskrankheit hält und nicht einmal ein Handy, ein Tablet oder ein Notebook besitzt, geschweige denn ein Smartphone, das ihn und all seine Aktivitäten für die ganze Welt zum gläsernen, durchschaubaren, vorhersagbaren Menschen machen würde. Auch in vergangenen Zeiten gab es schon Einsiedler, und dem Verfasser dieser Zeilen ist durchaus bewußt, daß diese von ihrer Umwelt im allgemeinen als ziemlich merkwürdige bis vielleicht sogar etwas verrückte Menschen wahrgenommen wurden. Er wird für den Rest seines Lebens trotzdem ein digitaler Einsiedler bleiben. Dies auch gleich als unmißverständliche Warnung an meine Kinder gerichtet, weil so eine Andeutung neulich auf der Geburtstagsfeier der besten Ehefrau von allen kam: Kommt bloß nicht auf die Idee, mir zu Weihnachten ein Smartphone zu schenken. Ich werde es mit dem Vorschlaghammer zertrümmern.

Diese Internet-Seite ist insofern ein Widerspruch in sich. Aber die beste Ehefrau von allen erklärt mir ja schon seit Jahren, ich sei ein sehr widersprüchlicher Mensch. Meine digitale Wahrnehmbarkeit umfasst nämlich inzwischen jeden Tag mehr als 1.000 Besucher. Analog begegne ich dagegen an einem Tag selten mehr als 10-20 Menschen. Unwillkürlich stellt sich mir die Frage: Wozu habe ich mir viele Jahrzehnte lang für sündhaft teures Geld fast 100 kg angefressen, wenn meine imposante Erscheinung in dieser Welt analog kaum noch wahrgenommen wird? Sondern nur digital, und das von Leuten, die mich in der großen Mehrzahl im ganzen Leben noch nie gesehen haben?

Ich glaube, ich muß jetzt erst mal was essen gehen mit ein paar uralten Freunden aus dem analogen Chaotikum (das liegt ziemlich genau zwischen dem Präkambrium und dem Neoproterozoikum).

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