Kleine Philosophie-Stunde zum Wochenausklang

Neulich hatte ich schon einmal erwähnt, daß einschlägige Internet-Foren zu abwickelnden Offenen Immobilien-Fonds eine wichtige Informationsquelle sind. Das meiste, was man an Neuem erfahren könnte, erfährt man hier ohne große Zeitverzögerung. Aber in diesen Foren werden nicht nur Neuigkeiten verbreitet, es wird auch über alle möglichen Nebenaspekte des Themas diskutiert und philosophiert.

Einer dieser immer wieder hochkochenden Aspekte ist die Tatsache, daß die Anleger der betroffenen Fonds zum Teil schmerzliche Verluste erleiden, während sich die Kapitalverwaltungsgesellschaften zu Lasten der jeweiligen Sondervermögen mit teils hart an der Grenze der Legalität liegenden Tricks noch jahrelang weiter ungeniert die Taschen füllen. Aber worüber will man sich beklagen: Das ist in der Finanz-Branche doch überall seit Jahren gängige Praxis. Wovon soll man denn sonst die jenseits aller Moralvorstellungen liegenden Boni bezahlen? Jedem das Seine, mir das Meiste.

Keiner der Akteure hat dabei nach meiner Beobachtung ein schlechtes Gewissen. Viel Geld machen ist doch geil und ein höchst erstrebenswertes Ziel. Unsere Gesellschaft ist in der Beziehung nun mal leider ein bißchen krank im Kopf. Von wegen christliches Abendland. Käme Jesus heute mal wieder auf die Erde und würde die ganzen Geldwechsler aus den Tempeln vertreiben, dann wären nach dem Auftritt des Messias New York, London oder Frankfurt nur noch Geisterstädte.

Aber zurück zu unserem OIF-Mikrokosmos. Da echauffierte sich gestern einer der Forum-Teilnehmer über KanAm. Dank Veröffentlichungspflicht im Bundesanzeiger kann man ja den GmbH’s und AG’s in unserem Land ganz gut in die Unterwäsche kucken. Und so erfährt man auf dem Wege auch, daß die vier KanAm-Geschäftsführer in 2014 insgesamt 6,48 Mio. EUR Vergütung bezogen haben, während die Kapitalverwaltungsgesellschaft selbst 57,46 Mio. EUR an Provisionen und Gebühren vereinnahmte.

Auf der anderen Seite zahlte sie auch 8,15 Mio. EUR an Provisionen. Was mit einer weiteren unmoralischen Besonderheit dieser Branche zu tun hat. Sie als Anleger sollten nämlich ruhig einmal erfahren: Ihre Bank, bei der Sie (meist wohl auf Empfehlung Ihres Anlageberaters) Fondsanteile im Depot haben, bekommt auf diese Anteile dann für alle Ewigkeit und jedes Jahr neu von den Kapitalverwaltungsgesellschaften sogenannte „Vertriebsfolgeprovisionen“ oder „Bestandsprovisionen“. Aus den Verwaltungsgebühren der Fonds, die zu Lasten Ihrer Erträge abgezweigt werden, fließt also jedes Jahr ein erklecklicher Anteil an Ihren ach so neutralen Wertpapierberater zurück. Selbst bei unseren abwickelnden Fonds war das noch so, bis zum Übergang auf die jeweilige Depotbank.

Von den fünf Banken, mit denen ich arbeite, hat mich übrigens nur eine einzige von sich aus über diese „kick-backs“ aufgeklärt. Die anderen vier haben nur einen hochroten Kopf gekriegt, als ich unter Hinweis auf diese vor dem Kunden verheimlichten Zusatzerträge bessere Konditionen im Wertpapiergeschäft verlangt habe.

Wieso mache ich mir über solche Dinge bloß so viele Gedanken? Das hat wahrscheinlich mit einer speziellen Berufskrankheit zu tun. Wie viele von Ihnen wissen, ist unser eigentliches Geschäft der Handel mit Historischen Wertpapieren, also Nonvaleurs, als reinen Sammlerstücken. Daß ein früher ausgegebenes Wertpapier überhaupt zum Nonvaleur werden konnte, lag ja in den seltensten Fällen am überbordenden wirtschaftlichen Erfolg des Emittenten. Also, mit anderen Worten: Seit mehr als drei Jahrzehnten beschäftige ich mich als Müllmann am Ende der Nahrungskette der Kapitalmärkte jeden Tag auf’s Neue mit der Psychologie des Scheiterns.

Das erklärt übrigens auch, warum wir bei den abwickelnden Immobilien-Fonds nicht ohne Erfolg unterwegs sind: Auch hier sind wir quasi die Müllmänner am Ende der Nahrungskette, und auch hier kann man viele Geschehnisse noch am besten erklären, wenn man die Psychologie des Scheiterns versteht.

Anstatt über die vielen Ungereimtheiten bei der Abwicklung unserer Fonds immer nur den Kopf zu schütteln, fängt man dann (vor allem bei Gegenwind auf dem 30-minütigen Weg mit dem Fahrrad in’s Büro) schon mal an, darüber nachzudenken, was in unserer Welt so alles schief läuft und was man an der Denk- und Handlungsweise der westlichen Zivilisationen so alles auszusetzen haben könnte – insbesondere, wenn man Angehöriger eines anderen Kulturkreises wäre.

Seit einigen Tagen habe ich nach langem Nachdenken bei wöchentlich 100 km Fahradfahren den wirklich Schuldigen für alle Mißstände dieser Welt gefunden: Es ist der Fußball.

Er ist das wahre Epizentrum der moralisch unverantwortlich hohen Geldleistungen, ein wahrlich ganz schlechtes Beispiel für alle übrigen Werktätigen. Wie soll man denn mit seinem Gehalt zufrieden sein, wenn man da täglich in der BLIND-Zeitung liest, wie ungeniert sich andere die Taschen füllen?

Doch neben dem Geld hat der Fußball noch eine viel schlimmere Wirkung auf unsere Moral: Er hämmert uns jedes Wochenende auf’s Neue ein, daß die Welt in Sieger und Besiegte eingeteilt sein muß. Aller gesellschaftsschädliche Egoismus in dieser Welt entsteht aber nur dadurch, daß jemand Sieger sein möchte. Schneller, schöner, (erfolg)reicher als seine Mitmenschen. Kann ich nur deswegen so unverblümt sagen, weil ich selbst fast mein ganzes Leben nach dieser Philosophie gelebt habe. By the way: Neben dem Fußball sollten wir auch die Olympischen Spiele abschaffen: Von wegen „Dabei sein ist alles“. Auch hier geht es (für die Sportler wie auch für ganze Nationen) doch nur darum, sich im Glanz des Medaillenspiegels zu sonnen. Und dafür ist dann jedes Mittel (inclusive Doping) recht.

Bleibt also die unbequeme Wahrheit: Wenn diese Welt wirklich besser werden soll, wenn wir sie tatsächlich konfliktfreier haben wollen, dann müssen wir vorneweg vor allem in den westlichen Zivilisationen unser Denken und unsere Lebenseinstellung von Grund auf ändern. Am radikalsten wäre es natürlich, individuellen Erfolg gesellschaftlich gleich ganz zu ächten und Siegeswillige auf den Mars zu verbannen. Ich weiß, das geht nicht. Aber es wäre ja schon einmal viel geholfen, wenn wir begreifen könnten, daß Erfolg nicht der alleinige Maßstab für den Wert eines Menschen sein kann. Es wäre viel geholfen, wenn wir die simple Tatsache in Betracht ziehen würden, daß jeder Sieger zwangsläufig einen Besiegten benötigt. Und Besiegte fühlen sich nun einmal nicht besonders gut.

Jedem das Seine, mir das Meiste. Wer jetzt mal ganz wertfrei über meine Thesen nachdenkt, findet vielleicht auch für sich selbst heraus, wie wir dieser Welt ein besseres Vorbild sein könnten als wir es heute sind. Und dann müsste man die Diskussion um moralische Grenzen von Gehältern und Provisionen vielleicht gar nicht mehr führen.

Den schwarzen Schafen, die in der Finanzbranche und anderswo ohne jeden Anstand und nur auf’s Geld Verdienen bedacht unterwegs sind, dürfen wir einfach nicht länger erlauben, die Benchmark für Erfolg zu sein. Ich jedenfalls habe mir das unkritische Bejubeln von Erfolg(Reichen) längst abgewöhnt. Auch Jeff Bezos, Elon Musk und Angela Merkel sitzen morgens mit nacktem Hintern auf der Kloschüssel und sind in dem Moment auch nur ein Mensch, genau wie Sie oder ich.

So, nun habe ich Sie genug gelangweilt, und verabschiede mich mit diesen salbungsvollen Worten für eine Woche Allgäu-Urlaub. Haben wir ja letztes Mal schon festgestellt, daß das Prinzip „Mehr Erfolg durch mehr Urlaub“ wundersamer Weise funktioniert. Möge sich in dem Sinne der Grad unserer Erleuchtung und der Depotwert unserer Fonds stets weiter vergrößern.

 

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